Mehr als ein Jahr ist es her seit die ägyptische Revolution auf dem Tahirplatz in Kairo friedlich begann, nun zeigt sich dass demokratische Wahlen nicht das Ende einer Aera waren, sondern erst der Beginn einer neuen Epoche. Mit Mubarak fiel nicht nur ein Diktator, sondern ein ganzes System: der Selbstbedienungsladen der Mächtigen! Nicht nur der Diktator selbst und seine Familie haben sich reichlich bedient am Aufbau der Wirtschaft, vor allem des Tourismus, die Armee hatte ebensolche Priviliegien. Der in den ersten demokratischen Wahlen mit grosser Mehrheit gewählte Präsident war als Vertreter der Muslimbrüder verdächtig die harte Linie zu verfolgen. Mit der Abstimmung über die neue Verfassung und der Einbindung der Sharia gibt es eine Zitterpartie ob die Revolution nicht in einen blutigen Bürgerkrieg einmündet.Ein Zurück aus dem laïzistischen Staat zum religiösen Gottesstaat scheint allerdings nicht die Absicht des Präsidenten. Er muss gratwandern zwischen der Armee, deren Privilegien er kappte, der Justiz und seiner Mehrheit im Parlament, stark durch eine breite Zustimmung in der (Land) Bevölkerung. Die Opposition begehrt auf, findet Mursi haben sich zuviel Macht einberäumt, allerdings muss erst das angesagte Referendum die vom Spezialausschuss vorgeschlagene Verfassung gutheissen. Daran wird sich das neue Demokratieverständnis der Bevölkerung messen: die Opposition hat noch eine Chance, die Menschen zu überzeugen dass der laïzistische Staat nicht der Pakt mit dem Teufel ist und freie Religionsausübung ihr oberstes Gesetz ist für jeden. Indessen dürfen sich die Palestinenser freuen, mit überwältigender Mehrheit wurde ihnen der Beobachterstatus zuerkannt von der UNO Vollversammlung. In der Auseinandersetzung mit Israel etwas Balsam für das geschundene Volk….aber noch kein Grund zu jubeln, noch ist damit kein Friede besiegelt.
Divers
Stahl, Mittal und Frankreich
Der französische Industrieminister droht mit Verstaatlichung der Hochöfen in Florange, in Lothringen. Ein Wahlversprechen der Sozialisten, die Schliessung werde verhindert…Schön und gut aber wie? Nachdem der Stahlgigant Mittal nicht mehr nach emotionalen Gesichtspunkten sondern rein geschäftlich seine Standortpolitik betreibt, ist offensichtlich dass Europa insgesamt für ihn zu teuer wird. Zu hohe Energiepreise, zu hohe Löhne, zuviele soziale Standards, sprich Kündigungsschutz, Sozialpläne bei Schliessungen, feste Ruhetage und dergleichen mehr. In anderen Teilen der Welt noch nicht überall einklagbar, so wie im sozialen Europa! Ausserdem braucht der Konzern Geld. In Rumänien hat die Arcelor Mittal 4 Stahlstandorte geschlossen…obschon dort die Löhne bestimmt kein Argument waren, und die Umweltauflagen ebenfalls nicht. Insgesamt ist die Schliessungsaktion für den Konzern äusserst einträglich: die geschlossenen Fabriken produzieren nämlich kein CO2 mehr, die Umweltzertifikate lassen sich gut und teuer verkaufen, aus den Schliessungen macht der Konzern noch gutes Geld im Interesse der Umwelt….Beleidigt zeigte sich Herr Mittal durch Aussagen des französischen Ministers und spricht deswegen heute beim Präsidenten höchstpersönlich vor. Indessen scheint der ehemalige Gegenspieler von Mittal, die russische Firma Severstal auch an den französischen Hochöfen interessiert. Was seinerseits durch das Aktionnariat der Arbed in Luxemburg abgelehnt wurde, zugunsten des Inders, soll vielleicht in Frankreich eine Neuauflage bekommen. Innoviert hat Arcelor Mittal zu wenig: die betriebsinternen Forschungsstellen wurden abgebaut, Materialforschung wird an der Universität in Luxemburg unterstützt, aber keine eigene Ausgaben mehr dazu getätigt. Das für die wichtigsten Neuheiten bekannte Unternehmen Paul Würth hat sich ebenfalls von dem Arcelorkonzern abgeseilt. Dass nun das Hauptgebäude des Firmensitzes in Luxemburg leersteht, deutet auf einen integralen Ausverkauf hin. Ob Frankreich mit seiner Initiative das Sterben der Hochöfen im Herzen von « Kohle und Stahl » der Montanunion verhindern kann, bleibt eine fragwürdige Angelegenheit. Mit Konzepten aus dem vorigen Jahrhundert kann man keine heutigen Probleme lösen. Die Moral von der Geschicht besagt dass es mit der industriellen Zukunft Europas bald vorbei sein dürfte, es sei denn neue Köpfe besinnen sich auf neue Methoden.
Europa ohne Herz
Keine Einigung zum Haushalt, wie erwartet, nicht zum erstem mal, aber doch folgenschwerer. Der egoistische Riss der sich zwischen « Geberländern » und « Nehmerländern » im öffentlichen Diskurs eingebürgert hat sagt nämlich aus, dass die deutschen Bürger glauben sollen sie zahlten für andere… Die Aussagen sind wiederum sehr stark national abgewogen: Frau Merkel verteidigt deutsche Steuerzahler und Cameron schlägt sich um seinen Rabatt und überhaupt zuviel « Europa ». Ob damit die Rumänen die Polen und andere das Nachsehen haben ist nicht gewiss: in den neuen Ländern ist nämlich noch Aufschwung, Potenzial, Bodenschätze, natürlicher Reichtum der mobil gemacht werden kann, da auch die Arbeitskräfte vor Ort sind. Der Agrarhaushalt spielt wiederum eine grosse Rolle, ein Problem das nicht nur zu diesem Haushalt auftritt, sondern regelmässig bei jeder Langzeitdiskussion vor Ort ist. Es geht dabei um 382 Mia € für 7 Jahre, da eine Reform der Agrarpolitik noch nicht so richtig gegriffen hat. Das ist der erste und grösste Haushaltsposten überhaupt! Da geht es um die Subventionnierung französischer und britischer Grossbauern, um Oliven und Milch, um Zucker und Tabakanbau. Ums Detail haben sich die Staatschefs nicht gekümmert, auch nicht um Inhaltliches, wie etwa ob der Rapsanbau auch als nachwachsender Rohstoff für Energie weiterhin subventionniert wird, obschon Klimaforscher die Unsinnigkeit dieser Ersatzenergiepflanze als mögliche Lösung zum Klimawandel bescheinigt haben. Die Staatschefs werden wohl in der Weihnachtspause zum besseren Nachdenken kommen, vielleicht auch mit etwas Herz. Europa kann nicht zusammenwachsen, wenn nicht arme und reiche Länder aufeinander zugehen. Das hat mit geben und nehmen weniger zu tun, als mit dem verpflichtenden Grundsatz des gegenseitigen Respektes, der in den Verträgen festgehalten ist. Europa ist eine Solidarunion und keine Freihandelszone!
Trauerspiel UMP
Dass Frankreich’s grösste und stärkste politische Kraft nun droht auseinanderzufallen ist eigentlich ein Nachspiel der durch den ehemaligen Präsidenten verschuldeten Polarisierung der Mitglieder. Mit dem politischen Aus des Präsidenten war schon vor der zweiten Wahlrunde unter Mitgliedern der UMP klar: mit einem anderen Spitzenkandidaten, etwa Alain Juppé, wäre die Wahl von der UMP gewonnen worden. Eine moderate, nicht polemische und nicht ausländerfeindliche Strömung hat das Wirken Sarkozy’s mit dem Ziel, Wähler des Front National anzulocken, zutiefst abgelehnt. Die rezente Präsidentenwahl belegt dass die besonnene Art François Fillon’s, nach der Wahl dieses Stimmungsbild aufzufangen, viele Anhänger hatte. Dass es zu einer klaren Mehrheit für ihn nicht reichte, ist schade. Erneut wird eine politische Persönlichkeit die in den Jahren unter Sarkozy ganz gewiss aus Loyalitätsgründen sich nicht äussern und profilieren konnte (wollte) Opfer der Populisten. Wenn nun Alain Juppé Schlichter wird, sollte die UMP auch bedenken ob nicht er der geeignete Spitzenmann wäre für die Wahl von 2017. Eine Rückkehr Sarkozy’s, das ausgesprochene Ziel François Copé’s, stellt im Falle einer Einigung derzeit, die UMP in zwei Jahren erneut vor die Wahl des Präsidentschaftskandidaten. Nun kann eine Partei manche Zerreissproben schadlos überstehen wenn es um Sachzwänge geht. Personenfragen hinterlassen allerdings immer tiefe Spuren und Risse. Gerade in Krisenzeiten ist es für die Politik insgesamt verheerend wenn die Führung sich um die Spitzenpositionen nicht einig ist!
Führung der UMP bestätigt?
Mit 100 Stimmen Vorsprung wurde der neue Leader der französischen Rechten, François Copé bestätigt. Op das genügt die Truppen zusammenzuhalten? Eine inhaltliche Spaltung zeichnet sich ab, da beide Kandidaten für verschiedene Tendenzen standen. Der frühere Premierminister François Fillon hat unter seinem Präsidenten Sarkozy wenig Gelegenheit gehab sich zu profilieren, er war der Mann der Feinarbeit im Hintergrund. Er war der Moderator in schwierigen Situationen, vielleicht war er sogar etwas zu scheu, zu wenig präsent in den Medien. Dafür ist seine Leistung einer soliden Truppe die er um sich scharte umso beachtlicher. Ohne Polemik hat Fillon mit Loyalität gedient, ein Zeichen des weisen Staatsverständnisses. Der frisch erkorene Präsident hatte es da einfacher, als Fraktionspräsident ständig in den Medien, hat auch er Gefolgschaft geleistet, nicht nur im Sinne des grösseren Staatswesens, leider auch in Frage echter Polarisierung der französischen Öffentlichkeit. In seiner Kampagne zum Vorsitz hat er Schlagzeilen gemacht mit seiner Aussage über das « pain au chocolat » das ein muslimischer Schüler einem Franzosen abgenommen habe mit der Begründung im Ramadan esse man nicht. Die Aussage war nicht nur dumm, sie war auch falsch: zur Zeit des Ramadans waren Ferien….ausserdem sind minderjährige vom Fasten im Rmadan ausgenommen. Dass Copé damit auf der rechten Seite punkten wollt ist offensichtlich! Er will-sarkozygetreu- beim Front National Zugewinne für die UMP holen, hat damit erneut eine Mitgliedspartei der EVP in trübe Gewässer geleitet. Vielleicht waren es gar 100 hardliner die ihn an die Macht gebracht haben, dagegen sind allerdings auch tausende von besonnenen Franzosen machtlos….