Herzlich willkommen hier in Schengen, an dem Ort dessen Name an jeder Passkontrolle die Menschen aufteilt: in der europäischen Union und ausserhalb, mit Visa oder nur mit einem in den Mitgliedsstaaten gültigen Pass. Schengen trennt, Schengen verbindet, Schengen bietet Freizügigkeit, einmal durch eine Passkontrolle durch, und schon ist man in den Mitgliedsstaaten als europäischer Bürger willkommen.Das idyllische Dörfchen, mit den Erinnerungstafeln der unterzeichnenden Regierungschefs, mit 27 Bäumen von den Rumänen gespendet, 2007, als Bulgarien und Rumänien Mitgliedsländer wurden. Obwohl sie immer noch nicht richtig drinnen sind, wachsen die Bäumchen hier in der Erde von Schengen, werfen Schatten auf die Promenade, aber eigentlich wirft Schengen zur Zeit bange Schatten über das Zusammenwachsen Europas.
Das möchte man nicht mit dem Ortsnamen assoziieren, das Hemmende Lähmende die Vorsicht mit der man neuerdings Menschen begegnet. Hier in Schengen schicken die lokalen Politiker sich gerade an mit den Nachbargemeinden zusammen zu wachsen, Schengen wird demnächst grösser, weil die Grenzen zu den Nachbargemeinden aufgeweicht werden, gemeinsam fährt man besser, dazu gab es allerdings Vorgaben: statt drei Bürgermeister wird es künftig nur noch einen geben, und die Zahl der gewählten Gemeindevertreter schrumpft, von der gemeinsamen Nutzung der Gemeindeinfrastrukturen, verspricht man sich eine bessere Arbeitsteilung. Solidarisch wird die kleinste Gemeinde keinen Schaden erleiden, wenn sie den grösseren einverleibt wird. Die Ortsnamen hat man nicht abgeschafft, wohl aber die administrative Doppelbesetzung. Ging es nicht genau umgekehrt in der europäischen Union? Alle Regierungen sind noch im Amt, und es kamen sogar immer neue Gremien hinzu: zu jedem neuen Problem wurde eine neue Instanz geschaffen, in der Hoffnung dass die Bürokratie die Probleme löst wenn es keine politisch Einigung gab.
Der grosse Traum der überzeugten Europäer der ersten Stunde, eine Verfassung die uns weitergeführt hätte auf dem Weg der politischen Einigung, scheiterte an dem « Nein » der Bürger aus Frankreich und den Niederlanden. Hätte in Deutschland ein Referendum stattgefunden, man hätte nicht gewusst wie das Verdikt der Bevölkerung ausgefallen wäre! Mit der Verfassung hätte es 2009 einen direkt gewählten Präsidenten gegeben, nur 18 Kommissare, statt jetzt 27, eine europäische Nationalität, eine gemeinsame Fahne, und eine Hymne.
War es die Angst vor dem Sich Öffnen, war es die ungenügend strukturierte Brüsseler Behörde, oder ist es vielmehr das egoistische Denken jener gewesen, denen die Mitgliedschaft in der EU bisher nur Vorteile gebracht hat! Ist etwa der Solidaritätsgedanke abhanden gekommen? Der Eindruck den die europäische Union zur Zeit vermittelt ist eher dazu angetan den Skeptikern Recht zu geben, so zu tun als ob das Zurück zum Nationalstaat wieder das Allheilmittel sein könnte! Dabei ist das gemeinsame Europa die Lösung und nicht das Problem!
Es hiesse die grossen Probleme auch gemeinsam anzugehend und durchzustehen. So z.b. beim Klimawandel, wo es seit 2007 einen Beschluss gibt, nämlich 20% Einsparung, 30% erneuerbare Energie und 20% weniger CO2 Ausstoss. Die durchzusetzenden Massnahmen blieben allerdings auf der Strecke. Eine gemeinsame Energiepolitik, das war zu Gründerzeiten schon ein Anliegen. Seit der Oelkrise der 70ziger Jahre ist die Frage anhängig, ohne dass es zum gemeinsamen Handeln gekommen wäre.
Eine gemeinsame Transportpolitik ist auf dem Papier dokumentiert, scheitert aber an mangelnden Investitionen in den Mitgliedsstaaten. Dies sind drei Themenbereiche mit denen viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, die viele Impulse für Forschung gegeben hätten. Bei allen drei Bereichen kam es zu Beschlussfassungen, ohne dass sich etwas in den Mitgliedstaaten bewegt hätte. Wenn die EU auf der Stelle tritt, dann müssen die Mitgliedstaaten es mitverantworten.
Die EU hat allerdings eine grosse Leistung in der Geschichte der Menschheit vollbracht, denn immerhin ist in den Mitgliedstaaten der Friede zwischen den Völkern zum festen Bestandteil geworden. Auch wenn sich Regierungs und Staatschefs am Verhandlungstisch streiten und uneinig sind, es rollen keine Panzer mehr. Es ist daher von einer besonderen Symbolik, die Friedenswanderung von Kolping dieses Jahr im Schengener Raum abzuhalten. Die Freiheit in den Mitgliedsstaaten unbehindert reisen zu dürfen darf uns keiner mehr nehmen. Gerade jetzt heisst es auch dafür kämpfen und offene Grenzen als eine wichtige Errungenschaft verteidigen. Dazu gehört allerdings auch die Toleranz oder besser noch die Akzeptanz des Andern, so wie er ist, mit seiner eigenen Identität, seiner Kultur, seiner Religion, auch mit seinen wirtschaftlichen Problemen.
Die Satzungen um Schengen gelten derzeit nur für Flüchtlinge, nach dem Genfer Statut, nicht aber für die zahlreichen Armutsflüchtlinge etwa aus den Mittelmeerländern, oder von wo immer sie auch kommen mögen. Eine gewaltige Herausforderung steht uns da bevor: werden wir es schaffen echte Zeugen eines christlichen Europa zu sein indem wir die Not der Menschen zu unserem eigenen Anliegen machen, das von Mensch zu Mensch neu erlernen, das Brot auch wirklich teilen, und nicht erst fragen ob der Pass in Ordnung ist. Dazu braucht es noch viele überzeugte Christen, die ansteckende Begeisterung all Jener die nicht nur um ihr eigenes Wohl besorgt sind, sondern bereit sind Mitverantwortung zu tragen.
Stefan Zweig hat bei einem Vortrag, den er 1932 in Florenz hielt folgendes gesagt:
« Wir müssen einig sein, wir Männer des Abendlandes, wir Erben der alten Kulturen, wenn wir die Führung behalten und das Werk das vor zweitausend Jahren auf dieser Erde begann vollenden wollen ;- alle unsere Verschiedenheiten und Eifersüchteleien müssen wir einschmelzen in der Leidenschaft für dieses grosse Ziel der Treue zu unserer gemeinsamen Vergangenheit und des Glaubens an unsere gemeinsame Zukunft. »
Siebzig Jahre nach diesem Aufruf, nach diesem Ringen um Gemeinsamkeit, das in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen von Schriftstellern und Künstlern, aber auch von Industriellen geteilt wurde, sind die Worte immer noch aktuell. Natürlich würde der Aufruf heute nicht mehr nur an « die Männer des Abendlandes » gehen, sondern an alle, auch an Frauen Jugendliche, an Christen und Juden, Muslime und Nichtgläubige. Was die von Stefan Zweig angemahnte Führung betrifft verstehen wir sie heute nicht mehr als politische Macht, sondern eher als Vorbildfunktion, als ein Modell gelebter Freiheit und Solidarität zwischen Staaten, zu dem wir uns vertraglich verpflichtet haben. Aber nicht nur Staaten wollten die Gründerväter einander nahe bringen, sondern vor allem die Menschen.
Manchmal hat man den Eindruck dass es nicht so sehr um die Menschen gehe, sondern eher um Rechthaberei der Staatschefs, Profitgier der Industrie, Gewinnsucht der Banken, Egoismus der Bürger. Manch einer wird dieser Tage wohl gestaunt haben als er erfuhr wieviele Tomaten und Gurken wir über Tausende von Kilometern in unsere Supermärkte transportieren. Gurken sind übrigens nicht zum erstenmal Stein des Anstosses. Ich habe mir des öftern das Unverständnis der Bürger anhören müssen, wieso sich die EU um Länge oder Krümmung der Gurken kümmern müsse, genauso wie den Ärger über die Festsetzung der Salzmengen im Brot, die einheitliche Regulierung der Herstellung von Wein, die Benennung von Bratwürsten und die Reihe könnte ich noch lange fortsetzen. Ich versuchte jeweils zu erklären dass es sich da um Konsumentschutz handele, dass die Vergleichbarkeit der Produkte gesichert sein müsse, dass regionalen Spezialitäten nicht durch unlauteren Wettbewerb geschadet werde.
Heroische Debatten hat das Europäische Parlament geführt um die Herstellung von Wodka einheitlich zu regulieren. Die Polen bestanden darauf dass nur aus Kartoffeln hergestellter Alkohol auch Wodka genannt werden dürfe, dass in Frankreich auch Wodka hergestellt wird mit verschiedenartigen Grundmaterialien, wusste ich nicht. Solche Fragen beschäftigen manchmal über Jahre Kommission, Parlament und Ministerrat. Das Europa des freien Warenverkehrs funktionniert! Ganz gewiss ist es für den europäischen Bürger von Vorteil, wenn er eine Vielfalt von Produkten kaufen kann, ich glaube allerdings nicht dass es dieses Europa war das den Idealvorstellungen eines Robert Schuman vorschwebte.
Schuman ist in Luxemburg geboren, er wohnte bis zu seinem 21. Lebensjahr in der Stadt, er sprach luxemburgisch, deutsch und französisch. Die kulturelle Vielfalt war ihm kein leerer Begriff, er spürte schon den Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich, die Versöhnung nach dem zweiten Weltkrieg konnte eigentlich nur gelingen weil die 6 Gründerstaaten bereit waren im gegenseitigen Vertrauen den kühnsten politischen Schritt des 20. Jhrhunderts zu wagen. Der gemeinsame Markt für Kohle und Stahl, sollten den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach dem Krieg ermöglichen. Es sollten keine Panzer mehr gebaut werden, sondern Pflugscharen, wie es in der Bibel steht. Die 1951 in Luxemburg eingerichtete « Hohe Behörde für Kohle und Stahl » war der Vorläufer der römischen Verträge von 1953. Europa hat eigentlich mit diesem gemeinsamen Markt begonnen. Später sagte Jean Monnet, der treue Wegbegleiter Schumans, wäre es von Vorne zu beginnen, er würde es mit der Kultur versuchen. Eine übergeordnete Rolle hätte der Kultur schon zugestanden. Ein jeder Schritt des Aufeinanderzugehens von Staaten betrifft wirtschaftliche und ökologische, soziale und kulturelle Zusammenhänge. Der gemeinsame Markt hat wirtschaftliche und umweltbedingte Rahmenbedingungen gesetzt, für den freien Warenverkehr. Die Sozialen Zusammenhänge sind vorerst noch keine gemeinsame Politiken, auch wenn mit grenzüberschreitenden Rechten im Bereich der Sozialversicherungen gute Fortschritte gemacht werden konnten, gibt es da noch viel zu tun. Die Kultur wurde erstmals im Vertrag von Maastricht erwähnt, 1992, und später im Lissabonvertrag als fester Bestandteil der Rechte des Einzelnen festgeschrieben.Das Zusammenwachsen Europas wurde durch die offenen Grenzen und den Euro besser gefördert als die Regulierung der Märkte es vermochte.
Ungenügend sind die Bürger allerdings darauf vorbereitet dass mit gemeinsam nicht uniform gemeint ist. Das Schliessen der Grenzen, auch wenn es nur zeitweise in Erwägung gezogen wird, wäre ein gefährlicher Rückschritt. Kein Staat lebt mehr für sich allein, sagte Stefan Zweig auch in seinem Vortrtag von 1932. Kein Land kann sich angesichts der zu bewältigenden Krisen im Finanzwesen, in der Klimapolitik, im Energiebereich abschotten. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, und sie wird wieder kräftig geschürt, gegen Muslime, Zigeuner, Afrikaner, Menschen aus dem Balkan.
Die mangelhafte Solidarität unter den Mitgliedstaaten hat die unbewältigten Probleme der Migration aus Drittstaaten mitzuverantworten. Während Jahrzenten waren illegale Einwanderer willkommene billige Arbeitskräfte zur Erntezeit in Spanien, Italien, Frankreich. In Deutschland und auch bei uns haben polnische Gastarbeiter zur Zeit des Spargelstechens oder der Traubenlese ausgeholfen, ganz legal, aber vielleicht auch nicht immer. Den Schlepperorganisationen wollte der Europarat bereits 1987 durch einen Entschliessungsantrag das Handwerk legen. Die Menschen aus Nordafrika sehen Europa als das was es ist und sein will: eine Staatengemeinschaft mit Respekt vor dem Einzelnen. Es ist daher kein Wunder wenn alle sich von diesem vermeintlichen Paradies angezogen fühlen. Nun ist aber nicht alles so paradiesisch wie es von aussen zu sein scheint. Es gilt vorerst noch viele Schritte zu wagen um Gemeinsames zu stärken und das soziale Europa voran zu bringen. Kolping hat eine wichtige Funktion zu erfüllen. Das soziale Gewissen steht den 6000 Kolpingfamilien schon zu: ihre Botschaft sind nicht nur Worte, sondern Taten. Grenzüberschreitend, durch praktische und konkrete Vorschläge, so wie die Friedenswanderung dieser Tage das Miteinander als Voraussetzung und das Füreinander als Konsequenz demonstrierte.
Liebe Gäste,
es hat mich sehr gefreut einige Gedanken mit Ihnen austauschen zu dürfen. Vieleicht sollten wir dieser Tag uns erinnern was uns einmal aufgetragen wurde: Fürchtet Euch nicht! Das Urvertrauen ist abhanden gekommen, etwas mehr Vertrauen zueinander könnte diese Welt verbessern.
Noch einen schönen Aufenthalt in Luxembourg.