ein klerikaler Witz:
Ein Mann hat einen schweren Autounfall und schwebt während Wochen zwischen Leben und Tod. Irgendwann erwacht er aus dem Koma und erzählt von einer überrealen Gotteserfahrung…das Durchwandern eines Tunnels in Richtung Licht und dann…die Begegnung mit Gott.
« Und, so fragt man ihn, wie sieht er aus? »
« Sie ist schwarz »!
Kultur und Kunst
Wir befanden uns 2008 im von der Europäischen Kommission ausgerufenen Jahr des Interkulturellen Dialogs. Sie sagten einmal in einem Interview, dass Kultur uns von anderen Lebewesen unterscheidet und uns insbesondere in Europa ein besseres Verständnis der anderen, eine bessere Empfänglichkeit für andere und den Dialog gebe. Wo sehen Sie in diesem Sinn die Chancen und die Herausforderungen, die ein solches Jahr mit sich bringt?
2008 war das Jahr des interkulturellen Dialogs, nachdem der Europarat das Jahr 2007 mit dieser Etikette bedacht hat. Das möchte ich vielleicht später kommentieren, beide internationale Organisationen – der Europarat und das Europäische Parlament – tun sich reichlich schwer, eine bessere Zusammenarbeit auch wirklich und konkret anzugehen.
Die EU hat Schwerpunktjahre ausgewählt, um Probleme anzugehen, die sich nicht so direkt und technisch mit den Regeln des gemeinsamen Marktes behandeln lassen. Vergessen darf man nicht, dass die EU immer noch die Freizügigkeit im Umgang mit Personen, mit Gütern und mit Kapital vorrangig gesetzgeberisch behandelt. Manchmal scheint es, als ob die „Brüsseler Bürokratie“ so allgegenwärtig sei, dass die nationalen Eigenarten zu verschwinden drohen. Die Bürger verspüren es schon als Übergriff auf nationale Kompetenzen, wenn im Sinne des „gemeinsamen Marktes“ die Herstellung von Käse oder Bier europäisch „geregelt“ wird. Eigentlich geht es nur darum, eine bessere Übersicht der Produkte zu gewährleisten, und dabei das gemeinsame Ziel des freien Warenverkehrs auch in die Praxis umsetzen zu können. Ob das der richtige Weg ist, sei vorerst dahingestellt.
Kultur und Kunst gehören immer noch in die eigentliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. So wie auch die Gesundheit, Soziales und alle damit zusammenhängenden Regeln. Dass 2008 als Jahr des interkulturellen Dialoges proklamiert wurde, hat natürlich der Kommission, dem Ministerrat und auch dem EP die Gelegenheit geboten, Kultur zu thematisieren, im Sinne der Akzeptanz anderer Kulturen und der damit promovierten Toleranz und Wertschätzung. Es gab viele Anhörungen im EP, in den Mitgliedstaaten war es den Regierungen freigestellt, ihre eigenen Programme zu erarbeiten, die Kommission hat auch einen Rechenschaftsbericht erstellt. Alles in Allem viele gute Gedanken, Vorschläge auch Beispiele wie im vereinten Europa die Menschen lernen könnten, besser zusammenzuleben. Ob daraus auch Gesetzgebungen entstehen, die Intoleranz oder Fremdenfeindlichkeit verhindern, wird sich erst zeigen. Auf jeden Fall ist Antidiskriminierung vielerorts schon eine echte Basis, die verhindern soll, dass Menschen wegen ihrer Kultur im weitesten Sinne ausgeschlossen werden
Das hört sich natürlich gut an….
Ja, aber wie ist es in Wirklichkeit um Akzeptanz und Toleranz des „Andersseins“, das wir ja in der Charta der fundamentalen Rechte jedem Europäer als seine Eigenart zugestehen, bestellt! Der Rechtsruck in Belgien, in den Niederlanden, in Tschechien und anderswo sagt eben aus, dass es Ablehnung auf Grund der „Rasse“ oder Religion noch immer gibt. Mir scheint, als ob der Wille auf dem Papier allein nicht genügt. Das echte Problem kommt, wenn man diese schönen Prinzipien in die Praxis umsetzen will. Und da ist noch sehr viel zu tun.
Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, zu gewährleisten, dass Kultur als Politikbereich aus eigenem Recht anerkannt wird. Können Sie dies etwas ausführen?
Seit der römischen Verträge ist die Kultur in den Texten vorsichtig aufgeführt, in den 50 Jahren seit die EU besteht gab es manchmal einen Ansatz, wie z.B. bei den Maastrichter Verträgen, eine „europäische Kulturpolitik“ zu ermöglichen, ich hätte mir durchaus eigene Konzepte vorstellen können. Aber bei jedem Anlauf befiel die Staats- und Regierungschefs das Fürchten. Die Angst vor dem Öffnen der Pandorabüchse war immer größer. Es gab den Mut nicht, sich zu einigen, was man denn unter einer gemeinsamen europäischen Kulturpolitik verstehen könne! Im Publikum lief die Debatte nicht minder schief. Die unselige Multikulti-Debatte erstickte jeden Ansatz im Keim. Nun ist der Begriff Multikulti, auf französisch klingt der Ausdruck weniger salopp, ja genau das, was europäische gemeinsame Kulturpolitik nicht sein soll! Die Gründerväter hatten sich glasklar dafür ausgesprochen, dass nationale Identität zu wahren sei, dass mehr über Gemeinsamkeiten als über Unterschiede geredet werden sollte. Es war eine schwere Unterlassungssünde, zu keinem Zeitpunkt gemeinsames Vorgehen ernsthaft zu erwägen und einzig aus der Defensive heraus zu reagieren.
Mir schwebt vor, dass so wie Umweltpolitik gesamtübergreifend in dem Begriff der Nachhaltigkeit gefasst wurde, eigentlich wie der rote Faden alle politischen Entscheidungen durchziehend, auch mitentscheidend hätte sein müssen, wie sie kulturpolitisch abzuwägen seien. Und zwar nicht um mit einer Bremsermentalität das Aufeinanderzugehen zu verhindern, sondern um offensiv die Vielfalt der Kulturen als den europäischen Reichtum anzusehen. Erst 2007 hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den Begriff in ihrer Rede vor dem EP formuliert: „Europas Seele ist die Vielfalt“, hat sie gesagt.
Und die Kulturhauptstadt?
Diese Initiative ging von der griechischen Kulturministerin Melina Mercouri aus, sie ist ein gelungener Glücksfall, denn zumindest gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Städten, und natürlich sehr viele Unterschiede. Aber um bei diesem Beispiel zu bleiben ist es ja sehr auffällig wie das Wesen des Modells sich gewandelt hat! Es ist fast zu einem Vorführmodell geworden für alles, was ich NICHT unter Kulturpolitik verstehe: Veranstaltungen, Events, manchmal finanziell sehr aufwändig aber ohne Nachhaltigkeit, ohne Tiefenwirkung. All diese kulturellen Programme, die im europäischen Budget nicht einmal 0,1 Prozent ausmachen, kanzeln die Kulturpolitik als das Unwesentliche ab, zum Sahnehäubchen auf dem Kuchen, zu dem, was überflüssig ist, und bei knappen Kassen dann auch zuerst in den Sparhaushalt aufgenommen wird. Viele peinliche Diskussionen hätte es nicht gegeben, wenn in den Gründerjahren der Kultur ein anderer Stellenwert beigemessen worden wäre. Einer der Gründerväter, Jean Monnet, der Architekt des Gebildes, hat gesagt, wenn er nochmals zu beginnen hätte, dann würde er mit der Kultur anfangen!
Glauben Sie, dass es dann besser geworden wäre?
Nein, in dem Zustand, in dem die Gründerstaaten damals waren, hätte keine Einigung gefunden werden können. Es gab noch allzu viel aufzuarbeiten aus den Kriegsjahren. Ich bin allerdings überzeugt, dass wenn es überhaupt nicht mehr weitergehen sollte, und die Aussichten auf dieses Szenario sind da, dass dann die Kultur und ihre Vielfalt zur Sprache gebracht wird. Bei der ersten Konferenz der Bewegung „Europa eine Seele geben“ hat Präsident Barroso verkündet, Kultur sei wichtiger als die Wirtschaft. Seine Berliner Rede wäre eine gute Grundsatzrede für einen neuen Kommissionspräsidenten mit neuen Zielwetzungen gewesen, aber leider folgten den Worten keine Taten. Und in den krisengebeutelten Zeiten der zweiten Ära Barroso hätte allein der Hinweis auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Deutschland und Frankreich ein Hinweis auf deren kulturellen Unterschiede manches klären können.
Allein schon das Wissen um die Geschichte des Gegenübers gibt Stärke in der Verhandlung, aber dazu gehört zuerst die Bereitschaft, sich in den Andern hineinzudenken, zu überlegen, weshalb er wohl so reagiert wie er es tut! Nichts von alledem geschah, jeder hat für sich allein die Finanzkrise und den Einbruch der Wirtschaft zu lösen versucht, bis es dann zum überhöhten Schuldenstand der Griechen keine andere Lösung als die erzwungene Gemeinschaftsbewegung mehr gab.
Ein Kommissionspräsident, der bewusst auf die kulturellen Gegensätze achtet, könnte im Vorfeld manche Probleme verhindern. Er müsste eigentlich Philosoph und Therapeut sein, und weniger öffentlich reden, aber mehr im Hintergrund auf gegensätzliche Strömungen achten.
„Freiheit bedeutet, dass man alles tun kann, was einem anderen nicht schadet“, sagte Mathias Claudius. Bezogen auf die (inhaltliche) Freiheit der Kunst: würden Sie dies unterschreiben? Schließlich hat die Freiheit zumindest für die Künstler und Künstlerinnen in den ehemaligen kommunistischen Staaten also auch in Rumänien materielle Schwierigkeiten mit sich gebracht, mit denen sie noch recht schlecht zurechtkommen, während ihre Kolleginnen und Kollegen in den „alten“ EU-Ländern schon mehr Erfahrung mit der Bewältigung von finanziellen Problemen gesammelt haben. Wie kann hier Abhilfe geschafft werden? Gibt es einen Mittelweg, auf dem die Politik günstige(re) Rahmenbedingungen für die Kunst schaffen könnte?
Freiheit des Einzelnen ist das große Prinzip auf dem die europäische Union gegründet ist. Das Recht des Einzelnen, sich frei zu bewegen, ist immer noch ein anzustrebendes Ziel. Noch sind nicht alle Menschen in den Mitgliedsstaaten der EU so frei, wie es eigentlich angestrebt wurde. Das heißt, dass der Freiheit auch Grenzen gesetzt sind, die aus den Zwängen der bestehenden Situationen entstanden sind. Persönliche Freiheit stößt sich aber auch am Recht des Anderen, an den bestehenden Regeln und Gesetzen, die unsere Staatengemeinschaft mit in die Union brachten. Da gibt es ganz gewiss viel zu sagen, aber bleiben wir erst einmal bei Ihren Fragen zur Kunst. Ich vertrete nicht die Überzeugung dass dem Künstler inhaltlich alles erlaubt ist, er muss sich auch an die Gesetze des Respekts und der Achtung der Menschenrechte halten. Es steht aber für mich außer Zweifel, dass Kunst sich frei entfalten soll, dass es keine von wem auch immer gemachten Vorgaben geben kann, dass ganz besonders die Politik hier sehr behutsam handeln muss, nicht eingreifen sollte, nicht eine eigene Meinung oder die der Partei „durchsetzen“ wollen, oder gar zensurieren, was nicht gefällt. Der politische Missbrauch der Kunst durch den Kommunismus ist eigentlich erst entstanden, als das ganze System von der Idealvorstellung einer besseren Welt abkam und die Macht des „Volkes“ von der Partei ausgeübt wurde. An Stelle der Zaren und Fürsten, Kaiser und Könige kamen Parteiführer. Die Kunst wurde Mittel zum Zweck, inhaltlich von der Partei bestimmt, und damit wurden viele Künstler in eine seelische Zwangslage gebracht, die unerträglich ist.
Zum Thema finanzielle Rahmenbedingungen…..
Da stellt sich die Grundfrage, wie weit der Staat, die öffentliche Hand, Gemeinden, Regionen sich finanziell beteiligen an Kunst und Kultur. Eigentlich sind sie die Mäzene der Moderne geworden. In früheren Jahrhunderten haben Könige und Päpste Aufträge erteilt, heute sind es Minister, Bürgermeister aber auch private Gesellschaften.
Bleiben wir erst einmal beim großen Prinzip der Freiheit gemäß dem Zitat von Mathias Claudius.
Ganz frei von materiellen Zwängen waren freischaffende Künstler eigentlich nie, es sei denn, sie hätten das ausserordentliche Glück gehabt, auf weitsichtige Mäzene zu treffen, die alle ihre Werke aufkaufen und dafür einen guten Preis bezahlen. Auch das gibt es im modernen Kunstbetrieb, der insbesondere von Gutachtern gesteuerte Museen zeitgenössischer Kunst mit Werken bestückt, die eben zur Zeit grosse Fragen zum „Preis“ eines Kunstwerks aufwerfen. Wenn wir von den finanziellen Problemen reden, die sich Künstlern stellen, so würde ich hauptsächlich auf die Rolle der Auftraggeber
zielen. Kunst ist Investition. Mehrwert, Bereicherung, davon können private Kunstsammler viele gute Beispiele nennen. Die Auftragsvergabe von öffentlichen Institutionen sollte deshalb auch nach den Regeln der Transparenz geführt werden, ohne dass jedoch dabei die Regeln der Vergabe von öffentlichen Arbeiten eine Anwendung finden dürfen. Mir wurde einmal von einem Finanzinspektor der Vorwurf gemacht, ich hätte nicht den „billigsten“ Anbieter zurückbehalten… Also auch öffentliche Aufträge sind nicht so ohne weiteres durchzuführen ohne das Gefühl von ungerechtfertigter Verwendung von Steuergeldern aufkommen zu lassen.
Aber ist zeitgenössische Kunst nicht manchmal störend? Wo befinden sich da die genauen Grenzen?
Ich gehe davon aus, dass echte Künstler, jene die Jahrhunderte überleben, auch Visionäre sind. Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, die man hier aufzählen könnte! Das Gespür dafür, was die Menschen bewegt, ist bei Künstlern ausgeprägter als in anderen Berufssparten. Das kann man von der Antike bis zum Mittelalter nachlesen und betrachten. Mit der zeitgenössischen Kunst hat es da eine eigene Bewandtnis… die Zeit hat noch nicht ausgesondert was auch wertbeständig ist, und was Allerweltsprodukt ist. Daher ist es besonders schwierig für das Publikum den Zugang zur zeitgenössischen Kunst zu finden. Das Spektrum hat sich auch sehr erweitert von den Kunsttechniken her. Ein Kunstwerk müsste erst hinterfragt werden, was hat sich der Künstler dabei gedacht, welches Thema wollte er andeuten, was hat ihn innerlich bewegt, wie kam er zu der gewählten Form, zu dem Zusammenfügen von Emotion und Ratio. Das Publikum stellt sich jedoch manchmal dagegen, wenn in der darstellenden Kunst das Werk erst erklärt werden muss bevor man überhaupt versteht um was es geht.
Mir scheint das Problem beim mangelnden Verständnis liegt darin dass zeitgenössische Kunst nicht nur zum Anschauen sondern auch zum Nachdenken geschaffen ist. Das ist allerdings kein Werturteil, sondern nur der Versuch, eine Erklärung für so oft geäusserte Bemerkungen von Besuchern einer Ausstellung.
Und wie ist es bei der Musik?
Da sind die Zuhörer noch nicht einmal im zwanzigsten Jahrhundert angekommen. Aber ich rede von der Masse, es gibt in jedem Land je nach Erziehungsmodellen unterschiedlichen Wissensstand um Kunst. Mir fällt auf dass besonders zeitgenössische Komponisten an mangelndem Interesse leiden. Keine Zeit hat ihre eigene Musik so ignoriert wie das späte zwanzigste Jahrhundert. Bedenkt man dass Mozart und Beethoven ausgebuht wurden, dass manche Werke so umstritten waren, dass der Impakt der Musik die Massen zur Aktion, manchmal zur Revolution bewegt hat, dann kann man die Gleichgültigkeit ermessen, die sich in der Musik von heute breitmacht.
Das betrifft allerdings nur den Bereich der E-Musik. Aber es ist genau dort wo in früheren Jahrhunderten der Impuls aus den europäischen Ländern ausging, bei den kommerziellen Sparten, die besonders die Jugendlichen anziehen ist es umgekehrt. Vieles drückt sich da unverblümt aus, in großer Lautstärke und mit ungebremster Heftigkeit.
Gibt es einen Mittelweg, auf dem die Politik günstigere Rahmenbedingungen für die Kunst schaffen könnte?
Es gibt unterschiedliche Kulturen in den jeweiligen Mitgliedstaaten der EU. Dann ist natürlich das amerikanische Modell, mit sehr niedrigen allgemeinen Steuersätzen und sehr günstigen Bedingungen für Philanthropie, ein mögliches – aber aus der heutigen Sicht der Dinge fragwürdiges – Modell. Dem gegenüber steht natürlich das kommunistische System, das Kultur instrumentalisiert hat und flächendeckend genutzt hat, um den Menschen zu formen. Wir stehen im Augenblick zwischen diesen verschiedenen Wegen. In Luxemburg werden derzeit große Anstrengungen gemacht, um der Philanthropie einen Stellenwert zu verleihen. Damit sollen Großkapitalisten ermutigt werden, durch Bedingungen steuerlicher Natur zu investieren. Vorrangig ist die Initiative allerdings humanitären Zwecken gewidmet. Leistungen für Entwicklungsprojekte werden bevorzugt, es ist nicht so, dass es Mäzene gäbe, die sich den Unterhalt eines Orchesters vornehmen würden. Amerikanische Orchester sind streckenweise ausschließlich von Privatkapital finanziert. Sponsoren finden, ist zu einer akademischen Spezialität an Hochschulen geworden, der Geldgeber eingebunden in die Projekte. Das heißt, die künstlerische Freiheit ist zum Teil eingeschränkt, aber das hat ermöglicht,dass amerikanische Institute wie Museen oder Konzerthäuser sich vorzüglich damit entwickeln konnten. Die Situation in Europa ist nun in dem Sinne verschieden, dass immer der Staat, die öffentliche Hand, die Finanzierung von Kunst und Kultur begleitet und regelt, mit der steuerlichen Begleitung – oder eben auch ohne. In Frankreich gab es eine Initiative, um den Betrieben die Beteiligung an Museen, oder Festivals schmackhaft zu machen. Es gab eine Art « ranking », eine Auszeichnung für Geldgeber, es sollte eine Art « bessere Reklame » für den Betrieb sein. Das hat natürlich einiges in Bewegung gebracht.
Es gibt aber auch dort, seit dem vom Kulturminister Jacques Lang eingebrachten Gesetz einen Zuschlag zu den Eintrittsgeldern in Kinos und Theater und daraus kommen Direktmittel welche der Kultur zugeführt werden. Natürlich werden da die Künstlervertretungen mit eingeschaltet bei der Verteilung. In Deutschland gibt es bedeutende Stiftungen, nach der Wiedervereinigung gab es allerdings eine Straffung der staatlichen Ensembles, Symphonieorchester wurden aufgelöst, fusioniert, ebenso in anderen Kunstbereichen wie im Theater. Es wäre ein interessanter Vergleich zu erstellen in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU. Belgien hat z.B. private Museen kürzlich eröffnet mit den Werken von Magritte, und eine « Tintin » oder Tim und Struppi Institution gegründet.
Wie weit der Staat seine Verantwortung übernimmt und in Kultur investiert, das hängt eben auch von der Politik ab. Grundsätzlich ist es meiner Meinung nach Pflicht des Staates, bei der Kulturförderung dafür zu sorgen, dass es Infrastrukturen gibt, die dem Kunstschaffen gerecht werden. Vorrangig ist Kunsterziehung staatliche Aufgabe. Wie viel in Opern und Orchester, Museen und Theater, Film und Kino investiert wird, und wie die Gewichtung zwischen öffentlichen Geldern und privaten Spenden ist, das ist natürlich eine politische Entscheidung der jeweiligen Regierungen. Kunst und Kultur hat einen Preis, nicht alles hängt jedoch davon ab, welche Summen einfliessen, Kreativität lässt sich eigentlich nicht erkaufen.
Die Rahmenbedingungen für die freie Entfaltung der Kulturbetriebe müssen allerdings Freiheit und Unabhängigkeit sein. Staatlich oder gar politisch verordnete Inhalte müssten der Vergangenheit angehören.
Zu den besten Finanzierungsmodellen gehört für mich das Quebecer Modell. Dieser Kleinstaat in Kanada hat eine Entwicklungsgesellschaft, die SODEC (Société de Développement des Entreprises Culturelles) die unabhängig vom Kultur- und Finanzministerium funktioniert, die staatlichen Zuwendungen werden hier verwaltet und nach Absprachen mit der Gesellschaft der Kulturschaffenden, eine Art Künstlergewerkschaft, und den vereinigten Produzenten, das sind Theater, Konzertsäle, Galerien, Kinos u. a. verteilt. Es gibt mehrere Stufen, das können Subventionen sein, aber auch Risikokapital mit oder ohne Zinsen. Der Vorteil ist, dass Kulturprojekte auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erstellt werden sollen, ohne dass allerdings Anspruchsvolles und wenig publikumsträchtige Kreationen unmöglich werden.
Staatliche Gelder können so optimale Resultate erzielen, ohne dass von der Politik und dem jeweiligen Amtsinhaber gesteuerte Projekte im Vorteil sind und die so oft verlangte Transparenz gewährleistet wird.
In den öffentlichen Haushalten gibt es im Allgemeinen nie genug Geld für die Kultur. Dabei scheint es manchmal wie ein Fass ohne Boden, ist es aber nicht. Mittel für Kunst und Kultur sind Investitionen in die Zukunft, in das Wohlbefinden der Bevölkerung, ein Reichtum, der unschätzbar ist.
Rumänien und Luxemburg haben im Jahr 1994 das erste gemeinsames Kulturabkommen unterzeichnet. Waren Sie an der Vorbereitung beteiligt als Kulturministerin?
Wir haben 2010 in Luxemburg und auch in Bukarest 100 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Luxemburg und Rumänien gefeiert. Das war eine bewegte gemeinsame Geschichte, die aus den zeitlichen Begebenheiten erwuchs, manchmal jahrelang ruhte und doch sehr konkrete Verbindungen hergestellt hat. Ich erinnere mich z.B. an sehr schöne Konzerte mit dem Madrigalchor aus Bukarest und der Austausch mit dem Madrigalchor aus Luxemburg war in den 60-er Jahren sehr intensiv. Es gab auch eine Zusammenarbeit mit der rumänischen Akademie. Der Luxemburger Geologe und Sänger Johny Flick, der sich intensiv mit Erdbebenforschung beschäftigte war korrespondierendes Mitglied der Akademie. Immer wieder gab es Konzerte mit rumänischen Künstlern in Luxemburg, Pantea war ja eben in dieser Zeit regelmässig zu Gast. Das rezenteste Programm des Kulturabkommens umfasst die Jahre 2009-2012.
Sie waren es, die Hermannstadt 2002 eingeladen hat, gemeinsam mit Luxemburg und der Großregion 2007 Europäische Kulturhauptstadt zu sein. Wie kamen Sie auf Hermannstadt?
Das damalige Modell der Kulturhauptstadt hatte in einem vom Ministerrat verabschiedeten Beschluss die Reihenfolge der Länder, in denen es eine Kulturhauptstadt geben sollte, bis 2019 festgelegt. Luxemburg war 2007 zum zweiten Mal an der Reihe. Als wir 1995 zum ersten Mal den Titel der Kulturhauptstadt bekamen, wurde uns für einen Monat die Stadt Nikosia in Zypern hinzugestellt. Zu der Zeit hatten « Nicht EU Mitgliedstaaten » nur die Möglichkeit einen « Kulturmonat » mit der jeweiligen Kulturhauptstadt, die auf ein ganzes Jahr ausgelegt war zu veranstalten. l999 wurden wurden die Spielregeln geändert, und ab 2006 war ein neues Reglement in Kraft, das damals vom europäischen Parlament ausgearbeitet worden war.
Wir hatten damals keine anderen Vorgaben, als dass es eine Stadt aus einem Nicht-Mitgliedland sein sollte. Hermannstadt war zu der Zeit, als diese Entscheidung zu treffen war, schon fast eine Partnerstadt, nachdem wir 1998 an der UNESCO-Konferenz teilgenommen hatten und die Instandsetzung der Casa Luxemburg ins Auge gefasst hatten. Damals entstand auch der ausgeschilderte Rundgang durch Hermannstadts Altstadt, um den sich Georges Calteux, der Direktor unseres Denkmalschutzamtes sehr bemüht hat, wie übrigens auch um die Instandsetzung des Hauses, den Kulturweg in Alba Julia nebst vielen Austauschprogrammen für Restauratoren und äusserst guten persönlichen Kontakten.
Aber zurück zur Kulturhauptstadt. Bei Gelegenheit eines bilateralen Besuches beim Premierminister Adrian Nastase und dem Kulturminister Razvan Theodorescu unterbreitete ich im September 2002 die Möglichkeit einer Kandidatur Hermannstadts für 2007, die dann von den rumänischen Autoritäten bei der Brüsseler Kommission eingereicht wurde.
Wir reichten unseren Vorschlag ein, und nachdem einige Fragen der Jury, die 1999 eingesetzt worden war, über das Modell Luxemburg und die Grossregion geklärt waren, ist der neuen Vorschlag vom 16. Februar 2004 das Projekt Kulturhauptstadt Luxemburg mit Einbeziehung der « Grossregion », das heisst der umliegenden Grenzgebiete von Deutschland, Frankreich und Belgien an die Kommissiion eingereicht worden. In dem Bericht der Jury vom April 2004 ist zu lesen: » …In der Zwischenzeit hat Frau Erna Hennicot Schoepges einen Brief des rumänischen Ministers für Kultur und Religion, Herrn Razvan Theodorescu , datiert am 8. Januar 2004 an den Ratspräsidenten weitergeleitet, in dem er die Absicht Rumäniens bekundete den Antrag von Sibiu/Hermannstadt zum Titel Europäische Kulturhauptstadt 2007 gemäss Artikel der betreffenden Verordnung, zu unterbreiten. Die Europäische Kommission erhielt diesen Antrag von Sibiu/Hermannstadt am 18. März 2004 und reichte ihn weiter an die Jury. » Zu der Anhörung Luxemburgs vor der Jury steht zu lesen: » Die Vertreter aus Luxemburg erläuterten die historischen Verbindungen Luxemburgs mit der rumänischen Stadt Sibiu/Hermannstadt und wie diese sich im letzten Jahrzehntentwickelt haben…..das Programm erhalte eine europäische Dimension mit Schwerpunkt Sibiu/Hermannstadt und die Wanderbewegungen in Europa. » Der Vorschlag der Delegation aus Hermannstadt wird folgendermassen kommentiert: » Die Jury stimmte überein dass der Antrag von Sibiu/Hermannstadt unterstützungswürdig sei, aber noch Verbesserungen notwendig seien. Um die hohen Anforderungen der Europäischen Kulturhauptstadt zu erfüllen sollten die Verantwortlichen der Stadt die engen Verbindungen zu Luxemburg nutzen, deren Vertreter Vertrauen, Interesse und integrale Unterstützung für Sibiu/Hermannstadt zusagten. Die Jury beachtet dass Luxemburg bereit ist Sibiu/Hermannstadt bei der weiteren Entwicklung des Programms zu unterstützen. » Am 6. April 2004 wurde das Protokoll der Sitzung der Jury unterzeichnet.
Damit wurde erstmalig noch vor dem EU Beitritt Rumäniens eine Stadt aus einem Nicht EU Mitgliedsland Kulturhauptstadt für ein ganzes Jahr.
Danach wurde allerdings das ganze Modell der Benennung der Kulturhauptstadt in Frage gestellt und abgeändert. Es war der Erweiterung nicht Rechnung getragen worden, was ja auch nicht möglich gewesen war. Am 25. Mai 1999, als der Ministerrat der 15 Kulturminister in Übereinstimmung mit dem europäischen Parlament die Entscheidung fasste, den Länderturnus bis 2019 festzulegen, stand die EU-Erweiterung in Aussicht, hatte aber noch nicht alle Hürden der parlamentarischen Zustimmungen durchlaufen.
2006 wurde dann eine Neufassung der Bedingungen verabschiedet. Da wurde grundsätzlich der Länderturnus beibehalten, jedoch jeweils eine Stadt eines neuen Mitgliedlandes als Vollpartnerstadt hinzugefügt. In diesemBeschluss wurde allerdings Hermannstadt für 2007 bestätigt, obschon zu diesem Zeitpunkt Rumänien noch nicht Mitgliedsland der EU war, und die beiden Kandidatenstaaten Rumänien und Bulgarien damals noch besonders vom Europaparlament in Frage gestellt wurden. Demnach, sogar dann, wenn es mit dem EU Beitritt für 2007 nicht geklappt hätte, stand es fest, dass Hermannstadt Europäische Kulturhauptstadt sein würde. Es ist demnach ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Kulturhauptstadt, ich bin sehr froh, dass es geklappt hat.
Hermannstadt ist derzeit ein Vorzeigemodell, wie Kultur eine ganze Gegend verändern und dynamisieren kann, wie sehr die Entwicklung vorangetrieben wurde, weil der Bürgermeister Klaus Johannis die Auflagen zur guten Stadtplanung nutzte, und überhaupt kann ich im Nachhinein sagen, dass ohne seine zuverlässige und solide Präsenz ich es vielleicht nicht gewagt hätte, Hermannstadt vorzuschlagen. Johannis hat die sich bietende Chance voll genutzt, zum Besten seiner Stadt. Hauptsache, es hat den Rumänen, der deutschen und den anderen Minderheiten viel gebracht, ein Stück Europa im Kleinen konnte sich am Fusse der Karpaten entwickeln.
Was Kultur bewegen kann, hat sich in Hermannstadt bestätigt.
Unsere Zusammenarbeit hat sich nicht zuletzt auch so gut entwickelt durch den Einsatz des Ersten Regierungsrates Guy Dockendorf. Er war ein kluger und stets einsatzbereiter Gesprächspartner, immer dann wenn es besondere Probleme gab, war er der Mann vor Ort, der mit anpackte. Ich glaube schon dass seine Hilfe damals sehr wichtig war. Es ist ja nicht so einfach sich mit der Brüsseler Bürokratie anzufreunden, Erfahrung hatte Guy Dockendorf von der ersten Kulturhauptstadt 1995, da musste Luxemburg auch erfinderisch sein. Vor allem konnten alle Verantwortlichen des Programms und die Mitarbeiter der kulturellen Institutionen aus Hermannstadt auf seine Erfahrung zählen. Guy Dockendorf hat ebenso wie Georges Calteux etwas von dem « rumänischen Virus » mitbekommen. Es haben sich echte Freundschaften entwickelt zwischen vielen Menschen.
Die Forschung ist skeptisch darüber, ob tatsächlich Luxemburger nach Hermannstadt eingewandert sind, Tatsache ist, dass es eine gewisse Sprachenverwandtschaft gibt.
Zu dem Zeitpunkt der Auswanderung, im 13.Jahrhundert war Luxemburg ein grösseres Gebiet als nach dem Wiener Kongress 1814. Wer konnte sich damals Luxemburger nennen? Es ist eigentlich erstaunlich, wie sehr die Menschen seit dem Zweiten Weltkrieg auf die Nation und die Nationalität fixiert sind. Was der Nationalstaat bewirkt, summiert sich im kulturellen Rückblick in den Grenzen. Die geographischen Grenzen hat die EU abzuschaffen versucht. Die Grenzen in den Köpfen leben weiter. Wir wissen, dass die ausgewanderten « Luxemburger » anscheinend aus der Trierer Gegend, die damals zum Herzogtum Luxemburg gehörte, sich als « Siebenbürger Sachsen » in der Gegend um Hermanstadt angesiedelt haben. Tatsache ist, dass sie nicht Sächsisch, sondern ein deutsches Platt gesprochen haben, das in der Trierer Gegend und in der Eifel gesprochen wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg aber zusehends dem Hochdeutschen Platz machen musste. Die Auswanderer kamen aus der, sagen wir, Moselgegend, sie haben Traditionen, Bauweisen und Eigenarten mit nach Rumänien genommen, die nachweisbar auch bei uns im heutigen Luxemburg erhalten sind. Sprachforscher haben sich intensiv darum bemüht, nachzuweisen, wie die Sprache sich entwickelt hat. Nun wird des öfteren der luxemburgischen Sprache, die ja erst seit 1984 den Status einer Nationalsprache per Gesetz bekam und bis dahin als Dialekt eingestuft war, die Daseinsberechtigung abgesprochen. 1999 wurde nun das erste schriftliche Original eines auf Luxemburgisch geschriebenen Gedichtes der Yolantha von Vianden entdeckt. Dieser « Codex Mariendalensis »liefert den Beweis, dass unsere Sprache im 13. Jahrhundert auch geschrieben wurde. Das Wörterbuch, das in einer ungemein schätzenswerten Fleissarbeit mit hohem Einsatz individueller Forschungsarbeit erstellt wurde, ist daher eine Fundgrube für Sprachforscher. Es fasziniert immer wieder, wie lebendig Sprache ist, wenn nachzulesen ist, wie sehr die Begriffe sich der Zeit anpassen, wie die Menschen durch ihre Umgebung, ihren Beruf, ihre Kunst, erfinderisch werden und die mündliche Überlieferung dann plötzlich in sprachlich wissenschaftlichen Deutungen ganze Wanderbewegungen nachvollzieht..
Zeitweilig war im Luxemburghaus, wie das Luxemburger Kulturzentrum, das Ende März 2003 am Kleinen Ring in Hermannstadt im Beisein des Großherzogs Henri und seiner Gattin eröffnet wurde, die Arbeitsstelle des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs untergebracht, als Zeichen für diese Sprachverwandtschaft. Was ist wichtiger für Sie persönlich: die Sprach- oder die Seelenverwandtschaft?
Sprache hat sehr viel mit Seelenverwandtschaft zu tun. Die Sprachenvielfalt, die Europa zu einem Babel unserer Zeitordnung gemacht hat, ist eine der grössten Herausforderungen dieses Jahrtausends. Mit den neuen Medien und den technischen Möglichkeiten können wir heute mit einigem guten Willen die Sprache des Anderen verstehen lernen. Das begrenzt sich natürlich nicht auf den einfachen Wortschatz, sondern bezieht die kulturellen Hintergründe der Wortformen mit ein. Es genügt nicht mehr, nur einer einzigen Sprache mächtig zu sein, die Vielfalt der Möglichkeiten droht den Einsprachigen zu einem Analphabeten zu machen. Die Gefahr, dass die Welt nur auf Englisch funktionieren soll, ist in der EU gebannt durch die Forderung der Übersetzungen in alle Sprachen der Mitgliedsländer. Nun ist das Englische wohl als « lingua franca » zu verstehen, im Mittelalter war Latein die Sprache der Wissenschaftler und der Kirchen. Die « Luxemburgisch » redenden Siebenbürger Sachsen haben sich sehr wohl damit zurecht gefunden, dass sie die eigene Sprache dokumentierten und sich in das neue Umfeld eingefügt haben. Gerade das ist auch Seelenverwandtschaft: geistige Mobilität mit stark verwurzelten Traditionen und einem Stück « mobiler Heimat ». Heimat ist das Wort, für das es keine Übersetzung gibt. Ein Begriff der in anderen Sprachräumen nicht die genau gleiche Bedeutung hat.
Wann haben Sie zum ersten Mal Kontakt zu Hermannstadt gehabt?
Es muss in den frühen 90-er Jahren gewesen sein, als die Gemeinde Walferdingen, deren Bürgermeisterin ich war, eine Städtepartnerschaft mit Praid geschlossen hat und ich mit Familie Pantea auf der Durchreise dorthin auch Hermanstadt besucht habe. Ich erinnere mich noch an die Strasse, an der die deutsche Schule damals einquartiert war, an umständliche Lebensbedingungen, an liebenswerte Menschen.
Was bedeutet für Sie die Begegnung mit der Stadt und den Leuten?
Ich war bei meinem ersten Besuch, bei dem ich auch das Brukenthal-Museum besichtigte, fasziniert, betroffen, sehr bewegt, es war die Entdeckung wunderbar engagierter Menschen.
Vieles hat sich seither geändert, das Museum ist ein Juvel geworden, die Rückerstattung der Bilder von Breughel war ganz gewiss ein Höhepunkt, heute kann ich mir kaum noch vorstellen wie es in den frühen neunziger Jahren war.
Gibt es auch dazu ein Schlüsselerlebnis?
In Praid haben wir damals die Salzbergwerke besucht, der Direktor war ein guter Freund der Panteas. In der grossen Halle des Bergwerks, 700 m unter Tage, haben wir sogar ein Konzert gegeben für die asthmakranken Kinder, die sich dort aufhielten. Es gab den Besuch bei einem Onkel von Cornelia Kreindl, in einem alten typischen Haus, das waren Besuche im privaten Bereich, ungarisch, rumänisch, deutsch geprägt, nach der Lebensgeschichte meiner Begleiter. Diese Begegnungen haben mir später sehr geholfen die ganze Komplexität der politischen und kulturellen Verhältnisse zu verstehen. Die Unbefangenheit, mit der die Menschen redeten, jeder mit seinen mehr oder minder heftigen Ablehnungen den andern gegenüber, war wie die Mosaiksteinchen, die um ins Bild zu passen zurecht geschliffen werden. Nun wird es wohl kein einheitlich flaches Bild werden, Ecken und Kanten werden bleiben, aus diesen kann ja eine farbige Mischung der sich gegenseitig befruchtenden Kulturen erwachsen. Damals habe ich auch den Schriftsteller Sütö Andras kennengelernt. Ein Vertreter der Ungarischen Bevölkerungsgruppe. Er war an dem Aufstand beteiligt, als die ungarischsprachige Minderheit im März 1990 in Targu Mures manifestierte und ihre Sprache gegen das Rumänische durchsetzen wollte.
Sütö hatte dabei ein Auge verloren. Als der erste Ministerpräsident des post-kommunistischen Ungarn, Jozsef Antall gestorben war, und ich als damalige Präsidentin des Luxemburgischen Parlamentes am Begräbnis teilnahm – ich war mit der Präsidentin des deutschen Bundestages Rita Süssmuth im deutschen Militärflugzeug nach Budapest geflogen – hat Sütö im Namen der 7 Millionen Auslandsungarn eine bewegende Rede gehalten. Mir wurde damals bewusst, wie wenig wir eigentlich von den Minderheiten, ihren Sprachenproblemen, ihrem Selbstverständnis, das sie auch im Ausland bewahren, wissen. In Luxemburg war Einwanderung eigentlich gleichbedeutend mit Assimilierung. Diese hat im Kleinstaat bis zu der portugiesischen Einwanderung funktioniert. Diese Erkenntnis, dass die Ungarn, die im Ausland lebten, noch einen Stellenwert in ihrem Heimatland hatten, hat mir die ganze Dimension der Minderheitenfragen, wie sie sich den Rumänen stellten, vorgeführt. Es ist allerdings eine sehr aktuelle und hoch brisante politische Frage geworden. Als nämlich Ungarn zum ersten Mal den Vorsitz der EU im Ministerrat übernahm, gab es wiederum ein kulturelles Happening im Gebäude des Rates in Brüssel. Nach der Tradition kann ja jedes Mitgliedsland auch Kunst dort anbringen. Die Tschechen hatten ja Furore gemacht mit ihrer « Skulptur »- der angeblichen « Gemeinschaftsarbeit » europäischer Künstler, die sich dann als Werk von David Cerni entpuppte, von dem ich schon weiter oben erzählte.
Die Ungarn haben zum Auftakt ihrer EU-Ratspräsidentschaft im EU-Gebäude in Brüssel einen 200 Quadratmeter grossen Teppich installiert auf dem in der Mitte auf 15 Quadratmetern eine historische Karte Ungarns von 1848 zu sehen ist, als das Habsburger Reich grösser war als das heutige Ungarn und die Slowakei, Osterreich und die Region Siebenbürgen aus Rumänien einschloss.
Das ist natürlich Geschichte. Wenn demnächst Luxemburg wieder den Vorsitz hat, könnte man ja auf das Reich Sigismunds zurückgreifen, dann würden alle anderen EU- Staaten daneben klein aussehen. Diese Darstellungen haben auch dank der Haltung der Vorsitzenden aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU mehr Aufsehen erregt, als bei den vorhergehenden Präsidentschaften, wo nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde, was aufgehängt oder ausgestellt wurde.
Schwerwiegender ist allerdings die Tatsache, dass die nicht in Ungarn lebenden Ungarn jetzt die ungarische Staatsbürgerschaft bekommen können. Auch das ist wiederum nichts Aussergewöhnliches: die doppelte Staatsbürgerschaft gibt es, auch bei uns kann man sie beantragen, die Bedingungen sind klar festgelegt, auch wo die Menschen ihr demokratisches Recht zu wählen ausüben. Wie sehr an der Nationalstaatlichkeit festgehalten wird, ist zumindest zu hinterfragen. In der Verfassung war die europäische Staatsbürgerschaft vorgesehen. Jeder wäre Ungar, Rumäne oder Deutscher gewesen, und dann eben Europäer. Das wurde damals abgelehnt von Frankreich und den Niederlanden. Dass es sich nun in die andere Richtung entwickelt, das wirft die Zukunftsfrage auf, ob die EU-Verantwortlichen den Ruckzug zum Nationalstaat antreten und das Gemeinsame nur noch nebenbei eine Rolle spielt.
Irgendwann machten die Europäischen Kulturwege in Hermannstadt Station. Wie kam es dazu?
Das ist eine schöne Geschichte, die europäischen Kulturwege des Europarates haben mich in der Tat ein Stück auf meinem Weg begleitet! Die Idee stammt aus dem Kulturausschuss der parlamentarischen Versammlung des Europarates. 1987 wurde durch einen Beschluss der erste Pilgerweg nach Santiago de Compostella in die Wege geleitet. Konkret heisst das, ein Netzwerk von lokalen freiwilligen Mitarbeitern ging zu Werke in der Gestaltung der Route, Wegweiser, die Muschel als Zeichen dass man auch wirklich dort vorbei kam wurden angebracht, und in den Pass eingetragen. Es ist der erfolgreichste europäische Kulturweg geworden. Etwa dreissig Wege, mit jeweils einem anderen thematischen Aufbau gibt es derzeit. Die Mitarbeiter vor Ort sind in Netzwerken organisiert, logistische Hilfe leistet das Institut, das 1998 vom Europarat nicht mehr finanziert werden konnte, durch die finanziellen Engpässe, die mittlerweile als Dauerkrankheit dieser ersten europäischen Institution anhaften.
Als damalige luxemburgische Kulturministerin habe ich den Vorschlag gemacht, das Institut in Luxemburg zu beherbergen, wo ihm mittlerweile in der Abtei Neumünster Räume und Infrastruktur für Konferenzen zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit ist ein Beschluss zwischen dem Europarat, der luxemburgischen Regierung und derzeit 16 Mitgliedern des Europarates in Vorbereitung. Das Institut darf demnach auf eine gesicherte Zukunft hoffen.
Ein Kulturweg durch das Netz der rumänischen Kirchenburgen liegt auf der Hand. So viel Geschichte lässt sich ablesen beim Streifzug durch die Befestigungen. Leider hat weder der Europarat, noch das Institut finanzielle Mittel zur Verfügung, um bei der Instandsetzung der schönen Bauten behilflich zu sein. Das Luxemburger Institut hat nun mit der Genehmigung des rumänischen Kulturministeriums und der Zustimmung von Bürgermeister Klaus Johannis im Luxemburghaus in Hermanstadt eine Zweigstelle geschaffen. Von hier aus kann das Projekt sich geographisch nach Osten wenden, die kulturelle Landkarte dort neu erschliessen. Gerade jetzt, da es noch unverfälschte Dörfer und nicht von Rennstrassen durchkreuzte Natur gibt, lohnt es sich, Kulturtourismus dorthin zu orientieren.
One Response to Luxemburg und Rumänien. Leseproben einer Seelenverwandtschaft
Beatrice Ungar 2 décembre 2013
Gut gebrüllt, Löwin, auch zur Maut, aber vor allem zum Thema: Wie bringt man Bürger dazu, auf das Auto zu verzichten? Hier wollen wir ja noch Autobahnen bauen, die Bahn geht flöten… Danke für den Impuls,
eine schöne Adventszeit
alles Liebe
Beatrice