Kommunalverwaltung
Sie waren sieben Jahre lang (1988-1995) Bürgermeisterin in Walferdange. Hat dies eine Rolle gespielt bei der Knüpfung von Beziehungen zu der Stadt Hermannstadt? Konnten Sie hier auch im kommunalpolitischen Bereich Beziehungen aufbauen?
Ich hatte die Chance, dass ich als Bürgermeisterin gleichzeitig Präsidentin des Parlamentes war. Das war nicht unvereinbar, zeitlich war es möglich, die kleine Randgemeinde neben der Stadt Luxemburg mit (damals) nicht gerade 5.000 Einwohnern auf 706 ha liess sich verwalten neben der Tätigkeit des ersten Landesbürgers. So entwickelte sich parallel die Verbindung zu Rumänien auf der parlamentarischen Ebene, da wurde über hohe Politik geredet, und auf der Ebene der Gemeinden. Mit der Ortschaft Praid war der Versuch gestartet worden, Techniker für landwirtschaftliche Maschinen auszubilden, in dem Walferdinger Betrieb Agrilux. Es gab ein kleines Budget in dem Etat der Gemeinde, um konkrete Projekte zu unterstützen, vor allem gab es aber einen sehr intensiven menschlichen Kontakt zwischen Gemeindebediensteten. Damals, in den frühen 90-er Jahren, wurden hierzulande viele Rumanien-Freundeskreise gegrundet, die Menschen nahmen Anteil am Schicksal der Bevölkerung in Rumänien. Sie sammelten und teilten, organisierten Hin- und Rückfahrt, waren auf eine rührende Weise darum bemüht zu helfen. Es war eine grossartige Stimmung von zwischenmenschlichen Begegnungen, einer meiner Mitarbeiter in der Gemeinde, ein eingefleischter Junggeselle, hat dort die Frau seines Lebens gefunden. Des öfteren ist mir später passiert, dass ich in Rumänien angesprochen wurde, wenn die Leute erfuhren, dass ich aus Luxemburg komme, mir dann beschrieben wurde bei wem und wo meine Gesprächspartner schon zu Besuch waren.
Ich war immer sehr vorsichtig, denn ich hatte gemerkt, dass den rumänischen Offiziellen diese Art der Zusammenarbeit nicht immer passte. Sie wollten nicht, dass ihr Land als Armenhaus Europas verstanden werde, die humanitäre Hilfe sollte nicht zu einer Almosenpolitik verkommen ,die letztendlich entwürdigend und beschämend war, wenn auch sehr uneigennützig und gut gemeint. Botschafter Postolache hatte die Sensibilität all diese Vereine zum rumänischen Nationalfeiertag einzuladen. Es gelang ihm, den buntesten Empfang aller Botschaften bieten zu können.
Welche Rolle spielt Kommunalpolitik im großen Konzert – schon wieder kommt die Musik ins Spiel – der Politik eines Staates? Welchen Stellenwert hat sie in Luxemburg, das als „überschaubares“ Land gilt?
Kommunalpolitik ist für mich die Basis des Politischen schlechthin. Es gibt keinen besseren Lehrmeister als die Verantwortung in allen Bereichen auf der kleinen Ebene.
Dem Bürgermeister sind in Sachen Kreativität keine Grenzen gesetzt. Er kann Prioritäten setzen, den Dialog mit dem Bürger führen, wir hatten damals zwei Mal im Jahr Bürgerversammlungen in den verschiedenen Ortsteilen. Da lernte ich die kleinen Sorgen des Alltags kennen, manchmal brauchte es sehr wenig Aufwand, um sie zu beheben. Das Mitregieren von der Basis lässt sich so am Besten erproben. Da merkt man, dass die Menschen verstehen, wenn die Erklärung begründet und ehrlich – unparteiisch ist. Manchmal haben die Diskussionen unter den Bürgern die eigentlichen Probleme gelöst: Sie haben nämlich sehr schnell gemerkt, dass das, was dem einen passte, für den andern zum Problem wurde. Die endlose Diskussion um die Verkehrsregelung, die das Anlegen von « schlafenden Gendarmen », das ist der übersetzte französische Name für Hindernisse im Straßenbelag um die Geschwindigkeit zu drosseln, rief den Protest der Anrainer hervor, da es dadurch verursachten zusätzlichen Lärm gab! Und dann der Protest des Bäckers, der mir die Frage stellte, wie er denn mit seinem schlagsahneverzierten Feingebäck heil über diese Hindernisse fahren soll. Oder auch die Radfahrer, die bei jedem Versuch der Stadt, sich in der Gestaltung des Strassenraumes um Verkehrsberuhigung zu bemühen, Radwege forderten. An diesen konkreten Problemen merkt man, wie sehr Egoismus um sich greift und die Menschen eigentlich nur an sich denken. Als Politiker lernt man aber auch die ganz konkreten praktischen Dinge einschätzen.
Da muss man mit viel Feingefühl seine Absichten durchsetzen, oder davon absehen… Es gelang mir in den sieben Jahren meiner Amtszeit vieles durchzusetzen, insbesondere was die Infrastruktur betrifft. Strassenerneuerungen sind technische Fragen. Es galt damals, die Erdgasleitung von der Nachbargemeinde weiter zu verlegen, das bedeutete, dass vor jedem Haus der Anschluss auch in die Häuser gemacht werden musste, für jene Haushalte die sich anschließen wollten. Es gab dazu wöchentliche Versammlungen mit der Strassenbau-Verwaltung und den betroffenen Einwohnern, mit vielen Details zu regeln, was Kostenrückerstattung, und Aufteilung zwischen der Gemeinde und den privaten Hausbesitzern betraf.
In einem kleinen Land ist die Kommunalpolitik die Basis für die Nationalpolitik. Die Gemeinden sind autonom, können in vielen Bereichen unabhängig entscheiden, der Bürgermeister ist eine Schlüsselfigur, die sehr intensiven Kontakt zu den Einwohnern herstellen kann. Ich glaube dass ich in dieser Zeit meine Sicht der Entwicklung der Gemeinde auch durchsetzen konnte. Nicht immer traf ich auf Begeisterung, aber langfristig hat sich dann doch als richtig bestätigt, was in die Wege geleitet wurde.
Ein sehr wichtiges Kapitel ist die Baupolitik. Die Gemeinde besass nicht sehr viel „alte“ wertvolle Architektur, ausser dem Schloss, in dem vor 150 Jahren der holländische Statthalter wohnte. Es gab zu dieser Zeit staatliche Vorgaben, wie Bebauungspläne zu erstellen sind, welches die Einspruchsmöglichkeiten der Bürger und der im Innenministerium angesiedelten Verwaltung sind. Damit sollte eigentlich geregelt sein, welche Baudichte zugelassen war, welche Gestaltung in neu erschlossenem Bauland zulässig war, ob Einfamilienhäuser oder Appartements gebaut werden könnten. Architektonische Vorgaben waren dadurch nicht abgesichert, denn maximale Masse für die bebaubaren Dimensionen sind ungenügend für urbanistische Konzepte. Da gab und gibt es immer noch sehr viele Konflikte. Die kommunale Selbstständigkeit hat letztendlich dazu geführt, dass die sich aneinander reihenden Wohnviertel, ortsübergreifend keinerlei Einheit mehr darstellen. Manche Bauten der Bessergestellten sehen aus wie aus einem Architekturkatalog, alle verschieden, einzeln grossartig, im Zusammenhang aber ohne Seele, ohne Kern und ohne Gemeinsamkeit. Die Häuser sind so, wie die Menschen geworden sind: jeder für sich ein Prachtexemplar. Bürgermeister hatten damals nur wenige rechtliche Möglichkeiten auch das Urbanistische eines Bauprojekts zu begutachten. Alle „ästhetischen“ Kriterien gaben nicht genug Rechtssicherheit damit, sie in einem Bautenreglement festgehalten werden könnten, und so hat sich das Land mittlerweile zu einem urbanistischen Zwitter entwickelt. Der Versuch, mit neuen Regeln etwas mehr Einheit in Städte und Dörfer einzubringen, kam etwas zu spät.
Infrastrukturen, Schulen, Kulturzentren, Altenwohnungen, Sporthallen, all dies ist kommunale Kompetenz, solange das Geld reicht… Die Finanzierung der Gemeinden in Luxemburg ist rechtlich gesichert durch Anteile an der Gewerbesteuer, der Autosteuer und sonstige Ausgaben mit grenzüberschreitendem Ausmass, wie z.B. Schwimmbäder, Musikschulen oder Energie-, Wasserversorgung, Abfallentsorgung können auch durch die Gründung von Gemeindesyndikaten abgewickelt werden.
Zu jedem einzelnen Bereich gibt es ein System staatlicher Zusatzfinanzierung. Das bedeutet, dass Bürgermeister die auch Abgeordnete sind, näher an dem Geldgeber sind, als solche, die es nicht sind. Das hat natürlich dazu geführt, dass jeder kleine Schritt, der in Richtung weniger Autonomie für die Gemeinden ging, vom Parlament abgebremst wurde, da zwischen einem Drittel und der Hälfte der Abgeordneten beide Mandate innehatten. Tiefgreifende Reformen wurden mit parteiübergreifenden Mehrheiten jeweils stark verändert, die kommunale Selbstverwaltung blieb bis auf weiteres eine politische Vorgabe. Das Bürgermeisteramt, wie Schöffen und auch Gemeinderat ist ehrenamtlich, eine Entschädigung für Sonderausgaben steht den Mandatsträgern zu, die beruflich nur eine geringe gesetzlich geregelte Freistellung bei ihrem Arbeitgeber einfordern können. Es ist daher seit jeher ein Wunsch der Politiker gewesen, für grössere Gemeinden den „Amtsbürgermeister“ einzuführen, d.h. eine bezahlte Funktion, die, so wie das Abgeordnetenmandat, eine hauptberufliche Tätigkeit daraus machen würde.
Mit 119 autonomen Gemeinden war unser Land gewiss rekordverdächtig, so gab es denn auch in den letzten Jahrzehnten Bestrebungen zu freiwilligen Gemeindefusionen, welche durch finanzielle Anreize seitens des Innenministeriums gefördert werden. Um dies durchzusetzen, werden in den Gemeinden Volksabstimmungen abgehalten, die Bürger müssen sich dazu äussern, und nicht immer stimmt eine Mehrheit für die Fusion.
Das ist Basisdemokratie vom Feinsten, landesplanerisch eine Quadratur des Kreises, allerdings mit Bürgernähe, und dem fest verankerten Prinzip des „not in my backyard“. So gab es jahrzehntelangen Streit um Bauschuttdeponien, Abfallentsorgung, Industriestandorte und Strassentrassen. Die jeweils teuerste Ausführung, bei Strassen waren es Tunnels, sogar dort, wo es keine Felsen gibt, war dann der Ausweg, um das Land dennoch weiter voran zu bringen. Das dürfte auch eine Erklärung sein, weshalb der Dienstleistungssektor mittlerweile die grösste Zahl der Arbeitsplätze stellt, während Industriebetriebe wegen solcher Standortprobleme sich nicht so richtig entfaltet haben.
Im sozialen Bereich haben allerdings diese kleinen Gemeinden eine sehr grosse Rolle gespielt. Da habe ich manche Erfahrung gesammelt, dass nicht immer Geld alle sozialen Probleme behebt. Als Bürgermeisterin hatte ich zweimal in der Woche « Sprechstunde ». Da konnte ich manchem Bittsteller helfen, oder aber ihn an die richtige Stelle weiterreichen. Das war eine äusserst bereichernde Zeit, ich habe dabei gelernt, was für Probleme die Menschen haben, wie der Amtsschimmel da manchmal zu laut wiehert, wie schnelle Hilfe doppelt hilft. Der Beamte der für die Gemeindekonten zuständig war und die Kasse fest im Griff hatte, war glücklicherweise ein offener Mensch, der Lösungen fand wie wir am Besten unbürokratisch helfen konnten. Er hat uns auch geholfen, die Partnerschaft mit Praid umzusetzen, und war selbst aktiv beim Bau einer Sporthalle in Ploiesti, ein Projekt unseres Fördervereins für Rumänien, beteiligt. Leider ist Norbert Diederich allzu früh gestorben, noch während meiner Amtszeit.
Hätten Sie es begrüßt, wenn sich aus der Partnerschaft zwischen Luxemburg und Hermannstadt im Projekt „Europäische Kulturhauptstadt 2007“ eine Städtepartnerschaft entwickelt hätte?
Städtepartnerschaften werden, seit die europäische Bürgerschaft auch ein Budget im Kulturhaushalt der Kommission hat, von Brüssel aktiv gefördert. Unsere Gemeinde hatte aber schon vorher in den 80-er Jahren Städtepartnerschaften geschlossen und zwar mit Gemeinden, in denen es Rosenzüchter gab.
Hier muss ich einiges über Rosenzucht und Luxemburg ausführen: Es gab nämlich im späten 19. Jahrhundert eine sehr aktive Rosenzucht in Luxemburg, mit der Entwicklung eigener Sorten und einer Exporttätigkeit, die sogar bis zum Kaiserhof nach China führte. Auch die Gemeinde Walferdingen war für ihre Rosenzucht bekannt, es gab grosse Areale auf denen Rosen angebaut und verkauft wurden, eigene Kreationen, und jedes Jahr im Sommer ein Rosenfest mit der Wahl einer Rosenkönigin. Unsere anderen Partnergemeinden waren eine deutsche, Schmittshausen, eine italienische, Limana, und eine französische, Longuyon. Es gab ein Komitee, dem jeweils Gemeinderäte und Bürger der Tourismusfördervereine der Gemeinden angehörten. Dann gab es ein festes Programm, mit Besuchen, Busreisen und vor allem einen Schüleraustausch. Turnusweise beherbergte jedes Jahr eine andere Gemeinde 12-jährige Schüler aus den drei Partnerstädten. Die Kinder waren privat untergebracht, sollten bei anderen Schülern wohnen, und sollten so die Lebensbedingungen der jeweils anderen kennenlernen. Das hat manche bleibenden Freundschaften erschlossen, aber mit den erleichterten Reisemöglichkeiten hat es dann doch nicht mehr die Attraktivität wie vor einigen Jahrzehnten.
Städtepartnerschaften sind gute Initiativen, allerdings sollen sie auf möglichst breiter Basis den Austausch fördern, und nicht nur den Honoratioren das Reisen auf Gemeindekosten ermöglichen. Schüleraustausch und Kontakte zwischen Institutionen sind besonders wertvoll, um den Dialog grenzüberschreitend zu fördern, das richtige Kennenlernen zu ermöglichen. Die junge Generation müsste da besonders gefördert werden. In der EU gibt es sehr wertvolle Programme, wie das Comenius-Projekt zwischen Schulen, aber auch den Freiwilligendienst, um die Mobilität der Jugend zu unterstützen.
Eine Partnerschaft hätte sich bestenfalls zwischen der Stadt Luxemburg und Hermannstadt entwickelt, nun ist unsere Hauptstadt allerdings schon in anderen Partnerschaften engagiert, und hat eine Partnerschaft mit Prag, u.a. Mein Vorschlag war, alle europäischen Kulturhauptstädte in einem Netzwerk zu vereinen, um so den Erfahrungsaustausch auch für die Zukunft zu sichern. Die Europäische Kommission hat diesen Vorschlag 2006 abgelehnt, mit der Begründung, es gebe ein informelles Netz, das damals von Spiros Mercouri, dem Bruder der griechischen Kulturministerin geleitet wurde. Damit gab es weder Geld noch infrastrukturelle Hilfe für dieses informelle Netzwerk. Die zur Zeit initiierte Befragung zur Neufassung des Projektes Europäische Kulturhauptstadt wird diesen Vorschlag wohl thematisieren müssen. Nach 2019 soll der ganze Werdegang der Auswahl ja erneuert werden. Es gibt demnach vielleicht andere Möglichkeiten, partnerschaftliche Zukunftspläne zu schmieden.
Die Verbindung zwischen Hermannstadt und Luxemburg fusst mittlerweile auf festen Einzelprojekten, wie den Kulturwegen, und der Zusammenarbeit im Bereich der Sprachforschung. Im Theaterbereich gibt es die intensive Zusammenarbeit zwischen dem Theater der Stadt Esch und dem „Radu Stanca“-Nationaltheater in Hermannstadt, es gab ein rumänisches Filmfestival in der Escher Kulturfabrik, es gibt im CCR Neumünster regelmässig Initiativen mit Künstlern aus Rumänien, Hermannstadt wird demnach immer ein Schwerpunkt der Begegnung bleiben, auch ohne formelle Partnerschaft.
Allein im laufenden Jahr, 2011, werden zwei Produktionen der Hermannstädter Bühne in Luxemburg gastieren und Charles Muller, der Escher Intendant, wird nach Becketts « Endspiel » mit « Marat/Sade » von Peter Weiss ein zweites Mal in Hermannstadt inszenieren. Im Gegenzug inszeniert Radu Alexandru Nica Büchners „Woyzeck“ am Escher Theater.
One Response to Luxemburg und Rumänien. Leseproben einer Seelenverwandtschaft
Beatrice Ungar 2 décembre 2013
Gut gebrüllt, Löwin, auch zur Maut, aber vor allem zum Thema: Wie bringt man Bürger dazu, auf das Auto zu verzichten? Hier wollen wir ja noch Autobahnen bauen, die Bahn geht flöten… Danke für den Impuls,
eine schöne Adventszeit
alles Liebe
Beatrice