Diktator Ceausescu steht morgens auf, geht auf die Terrasse und ruft: „Guten Morgen, Sonne!“ „Guten Morgen, Genosse Präsident!“ hallt es zurück. Begeistert ruft er am nächsten Morgen seine Gattin und will ihr beweisen, dass er mit der Sonne sprechen kann. Sie treten beide auf die Terrasse und er ruft: „Guten Morgen, Sonne!“ Keine Antwort. Er wiederholt den Satz mehrmals erfolglos. Plötzlich kommt der Chef des Wachdienstes und sagt dem Diktator: „Genosse Präsident, Genosse Leutnant Sonne hat heute dienstfrei…“
Politik
Ihr erster Kontakt zu dem Land fand auf musikalischer Ebene statt und kurz darauf kam es auch zu politischen Beziehungen.
Die Jahre zwischen 1989 und den Wahlen 1992 waren im politischen Bereich sehr wichtig, vielleicht sogar entscheidend für alles, was sich später aus einer „lernenden Demokratie“ ergeben hat. Ich hatte in diesen Jahren Gelegenheit, außerhalb meiner politischen Funktionen viele Gespräche zu führen, Menschen kennen zu lernen, die dann nachher eine große Rolle spielten. Die Erwartung der Menschen, dass es nun endlich besser werde, dass freie Wahlen genutzt würden, um die besten Kräfte an die Spitze des Landes zu setzen, von denen erwartet wurde dass sie uneigennützig und nach dem Prinzip der Wahrung des Allgemeinwohls ihre Macht einsetzen würden, wurde im Rückblick bitter enttäuscht. Es war übrigens auch ein Verkennen der Realitäten, auf Veränderungen zu warten, die sich vom Tag der Wahl an zeigen würden.
Die europäischen Parteien haben alle dabei versagt, die nötige Hilfe zu leisten zum Aufbau einer Parteienlandschaft, so wie sie in den Demokratien der damaligen Europäischen Union funktionierten.
Noch immer gab es die Securitate! Das „demokratische Forum“, das als vom üblichen Parteienspektrum unabhängige Bürgerbewegung die Schriftstellerin Ana Blandiana zur Spitzenkandidatin erwählt hatte, stand auf schwachen Beinen.
Mir schien damals die Auseinandersetzung zwischen den ethnischen Gruppen ein Vorwand für endlose Diskussionen zu sein, die dennoch zu keiner Lösung führten, ein Minenfeld, an dem sich Demokratie aufreibt.
Sie gehörten zu den ersten politischen Persönlichkeiten aus dem Ausland, die eine Ansprache im Rumänischen Parlament hielten. Dabei mussten Sie als Präsidentin des Luxemburger Parlaments erfahren, wie empfindlich rumänische Parlamentarier sind. Oder würden Sie deren Reaktion eher auf einen gewissen Nachholbedarf in Sachen politische Kultur zurückführen?
In meiner Rede im Parlament damals hatte ich die Frage der Prioritäten aufgeworfen, und meine Bemerkung, ob die Sorge um den wirtschaftlichen Aufbau nicht die erste Priorität sein sollte, wurde missverstanden. Ich habe dann als Delegationschefin mit allen politischen Gruppierungen Einzelgespräche geführt. Während dieser neun Stunden dauernden Unterredungen habe ich sehr viel dazu gelernt. In der Tat hat es auch ein sprachliches Problem gegeben. Meine Rede, die übersetzt wurde, und von der die Übersetzer keine schriftliche Vorlage hatten, war auf Französisch. Der Konjunktiv, den ich gebraucht hatte, war mit einem Präsens übersetzt worden, und das klang dann so, als ob ich den rumänischen Abgeordneten eine Lektion erteilen wollte.
Mir war das ganze sehr peinlich, ich wollte weder jemanden beleidigen noch provozieren.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass wenn man zu keiner Einigung kommt, die Beschäftigung mit den praktischen Dingen des Alltags auch manchmal zueinander führt. Die nationalen Minderheiten und deren politische Vertretung, das Sprachenproblem, waren so vorrangige und sensible Themen, die ja bis heute noch immer an der Tagesordnung sind.
Der damalige Parlamentspräsident Adrian Nastase hat den ganzen Vorfall sehr souverän und mir gegenüber mit liebenswürdigem Verständnis überbrückt.
Wenn Politik die Kunst des Machbaren sein sollte rücken ideale Vorstellungen manchmal die praktischen Probleme in zu weite Ferne. Daher kommt den gesetzten Prioritäten im politischen Alltag eine größere Rolle zu als nur das Abarbeiten einer Tagesordnung. Um zur rechten Zeit die Probleme anzugehen und einer Lösung zuzuführen, braucht man auch das Gespür dafür, was den Menschen wichtig ist. An dem Mut, Unbequemes rechtzeitig durchzusetzen, erkennt man das politische Talent, eine Sachlage richtig einzuschätzen.
Die Demokratie ist auch deswegen eine unbefriedigende Staatsform, da sie durch vorgegebene Wahltermine die an der Macht sich befindenden Politiker unter Zugzwang setzt. Und rechnet man Kommunal- und Regionalwahlen dazu, dann finden wohl immer irgendwo Wahlen statt… Ein Grund, Unbequemes erst mal zu verschieben, „bis nach den Wahlen“, aber nach der Wahl ist vor der Wahl. Wenn letztlich das demokratische System dazu führen sollte, Immobilismus damit zu entschuldigen, dass man Rücksicht nehmen muss auf den Popularitätsschwund, dann ist es höchste Zeit, über Strukturveränderungen im System nachzudenken!
Mir scheint es angebracht, eine Debatte über die zeitliche Begrenzung aller politischen Mandate und dies nicht nur in Rumänien, zu führen.
Als Konzertpianistin sind Sie sich dessen bewusst, wie wichtig ein gut funktionierendes Orchester ist. Auf die politische Lage in Rumänien angewendet dürfte man fragen: Welche Sektion des Orchesters muss hier noch üben?
Ein Orchester ist immer nur so gut wie seine einzelnen Musiker! Sogar ein schlechter Dirigent macht mit einem guten Orchester ordentliche Aufführungen. Aber als Orchestermusiker hat man endgültig Abschied genommen von der Solistenkarriere. Hier spielt kein Musiker, wenn er nicht gerade einen Solopart hat, für sich allein, immer ist er Teil des Ganzen! Dass es einen Dirigenten gibt, dem alle folgen, sogar dann, wenn er schlecht ist, macht den Beruf manchmal zum Frust, dann hat das Orchester plötzlich keinen Erfolg mehr, wird nicht mehr eingeladen, rutscht in die Mittelmäßigkeit ab!
In der Politik ist es manchmal so, als habe der Dirigent es nur mit Solisten zu tun, als spiele jeder eine andere Partitur! Klar ist damit gesagt, dass eine Regierung nur glaubwürdig bleibt, wenn alle Minister am selben Strang ziehen. Ein Parlament hat die Möglichkeit, aus der kritischen Auseinandersetzung vorgelegte Gesetzestexte zu verbessern, aber irgendwann kommt die Abstimmung, wenn es dann keine Mehrheit gibt, dann ist der Stillstand angesagt, oder die Krise. Wie beim Orchester sollten die einzelnen „Register“ im Detail arbeiten, durch Qualität und gute Arbeit kann man auch im Parlament Anerkennung erzielen, aber manchen ist die schnelle Karriere wichtiger als der Inhalt der zu verabschiedenden Gesetze. Das gilt aber nicht nur für die rumänische Politik.
Es ist viel schwieriger geworden Politik als Dienst anzusehen, die Polis, die „Stadt“ zu umsorgen, der Allgemeinheit zu dienen, so wie eigentlich der Ursprung der Demokratie es wollte.
Haben Sie versucht, den rumänischen Politikern Ratschläge zu geben und wurden diese angenommen?
Es steht mir nicht zu, irgendwem Ratschläge zu geben, solange ich nicht ausdrücklich um meine Meinung gebeten werde. Wenn ich gefragt worden bin, habe ich schon meine Meinung gesagt, unverblümt und ehrlich – was eben auch nicht immer gut ankommt. Jeder muss halt in der Politik seinen eigenen Weg finden, so auch jedes Volk. Nicht immer sind die kurzfristigen Erfolge auch nachhaltig. Aber das ändert man nur mit einem sehr starken Willen und ohne Rücksicht auf die eigene Karriere.
Was bedeutet die EU-Mitgliedschaft Rumäniens für Sie? Sie haben das Land ja schon im Vorfeld gekannt und nicht nur gedanklich begleitet.
Es war schon gewagt, als 1997 – Luxemburg hatte damals den Vorsitz in der EU – Jean-Claude Juncker auch Rumänien und Bulgarien als mögliche Kandidaten und zu der Erweiterung gehörende Staaten erklärte. Es gelte, die Geographie mit der Geschichte in Einklang zu bringen, so seine Begründung. Als dann 2004 zehn neue Staaten der EU beitraten, wurden Rumänien und Bulgarien auf 2007 vertagt.
Ich war also Mitglied des Europäischen Parlaments, als die Debatte um diese Erweiterung lief. Es gab sehr viel Widerstand, besonders seitens der großen Länder Deutschland und Frankreich. Nun hatten wir bereits 2001, als Luxemburg erneut für die Europäische Kulturhauptstadt 2007 ein Programm einreichen sollte, und nach dem damaligen Modell eine Partnerstadt für einen Monat vorgeschlagen werden konnte, Sibiu/ Herrmannstadt ausgewählt. Es gab viele Gründe dazu, die Verbindung mit Luxemburg, die Auswanderung im Mittelalter.
Als zuständige Kulturministerin hatte ich 1998 nach einer Unesco Konferenz, die auf Einladung des rumänischen Kulturministers Ion Caramitru in Sibiu stattfand, die Instandsetzung eines Hauses am Kleinen Ring in Hermannstadt mit Hilfe einer Finanzierung aus dem Luxemburger Budget angeregt. Die Zusammenarbeit war schon intensiv, so dass auch für die Luxemburger Bevölkerung Rumänien nicht ein Land irgendwo im Osten war, sondern regelrechte Freundschaften zwischen Menschen, Partnerschaften zwischen Gemeinden entstanden waren. Es hat mich sehr geärgert, wenn über den Beitritt Rumäniens so gesprochen wurde, als gäbe es damit nur Probleme.
Die Pauschalisierung der Meinungen habe ich ja schon angesprochen… Als wir im EP eine Debatte führten, ob der Beitritt nicht doch noch verschoben werden könnte, habe ich argumentiert, dass dies wohl manchen rumänischen Politikern so passen könnte und die Mafia im Lande sich dann sehr freuen könnte, dem rumänischen Volk aber nicht damit gedient sei.
Anscheinend hat gerade dieses Argument viele Kollegen davon überzeugt, der Erweiterung für 2007 zuzustimmen.
Wie erleben Sie als EU-Parlamentarierin die Kollegen und Kolleginnen aus Rumänien? Wie haben diese auf Ihre Anfrage in Bezug auf die Umweltverschmutzung in Kleinkopisch/ Copsa Mica reagiert? Belasten solche Anfragen die Beziehungen?
Es war für mich eine der bewegendsten Zeremonien als die Delegationen von Bulgarien und Rumänien hinter ihren nationalen Fahnen in den Plenarsaal in Strassburg einzogen. Von den Kollegen habe ich damals nur Ovidiu Gant etwas näher gekannt, da er im Kulturausschuss schon als Beobachter vor dem Beitritt vertreten war. Sehr viele persönlichen Kontakte habe ich nicht geknüpft, ich war sehr auf die Arbeit konzentriert und bei gesellschaftlichen Anlässen, wie Empfängen oder Reisen wenig dabei.
Anfragen wie jene, die Sie erwähnten, werden kommentarlos hingenommen, zumindest hat mich keiner der Kollegen darauf angesprochen. Die Antworten der Europäischen Kommission sind jeweils fachlich, die Fakten erläuternd, wer daraus politische Ziele verfolgen will, kann nach genauer Kenntnis der Sachlage Schlussfolgerungen ziehen und diese der Presse bekannt machen.
Fragen stellen ist ein sehr wichtiges Recht der Abgeordneten.
Manche erschöpfen ihre Tätigkeit darin. Die Effizienz ist ungleich größer als Reden im Plenum.
Aus den Antworten der Kommission lässt sich manchmal ableiten, wie nationale Regierungen mit der europäischen Gesetzgebung umgehen, für den Abgeordneten ergibt sich so die Möglichkeit, sich aktiv in die nationale Politik einzubringen. Was Copsa Mica anbetrifft, hat sich das Problem nicht gelöst und die wieder aufgetretenen Diskussionen um die Goldminen in Rosia Montana und die angewandte Technik zeigt, wie schwierig es ist, Umweltschutz und Wirtschaft auf einen Nenner zu bringen.
Mangelhafte Kommunikation kann die Beziehungen schon belasten. Die Entscheidung der Europäischen Kommission, den Gebrauch von Zyaniden für die Goldförderung endgültig zu verbieten, wurde als „gegen Rumänien“ gerichtet, in die Schlagzeilen gebracht. Dabei weiß jeder, dass Zyankali ein tödliches Gift ist, das sich nicht abbaut, und wenn es in das Grundwasser gerät, eine echte Gefahr für die Menschen entsteht.
Inwiefern prägte die Tatsache, dass sie noch während des Zweiten Weltkriegs geboren sind und die Nachkriegszeit mit ihren Wirren und ihrer Not erlebt haben, Ihr Verständnis für die Lage in Rumänien nach dem Umbruch?
Diese Generationenfrage gilt in der Tat für die gesamte Geschichte der Europäischen Union. Für die Luxemburger hatte der Zweite Weltkrieg eine mehrfache Bedeutung. Wir waren nach dem Wiener Kongress 1814/1815 als Pufferstaat zwischen Frankreich und Deutschland, in Personalunion mit dem holländischen Königshaus als selbständiges Großherzogtum gegründet worden. Unsere Verfassung ist, mit dem zu gleicher Zeit entstandenen belgischen Königreich, auf den Prinzipien einer konstitutionellen Monarchie aufgebaut. Als militärisch neutrales Land hatten wir auf die Großmächte vertraut und unsere Verteidigung bei ihnen sicher aufgehoben gewähnt. Mit dem Zweiten Weltkrieg haben wir allerdings erfahren, dass darauf kein Verlass war. Die deutsche Wehrmacht besetzte Luxemburg am 10. Mai 1940. Die Nazis versuchten mit ihren berüchtigten Methoden, die Bevölkerung dazu zu zwingen, sich als „Deutschstämmige“ zu erklären. Es war verboten, Luxemburgisch zu reden, aus den Schulen wurde die französische Sprache verbannt, denn wir lernten ja neben Deutsch auch Französisch. Eine Resistenz hat sich aufgebaut und als die Nazis per Referendum die Bevölkerung befragten, welche ihre Volkszugehörigkeit und ihre Sprache sei, antworteten 97 Prozent der Luxemburger mit: Luxemburgisch.
Daraufhin erfolgte die Repression mit der Zwangsrekrutierung aller Luxemburger Männer der Jahrgänge 1920-1927 in die Wehrmacht. Dagegen wehrten wir uns wieder mit einem Generalstreik, der alle Industriebetriebe zur selben Uhrzeit am 9. Oktober 1942 stilllegte. Wiederum Repression, 21 Arbeiter wurden standrechtlich erschossen.
Da ich in die Kriegszeit hineingeboren wurde, weiß ich vom Erzählen oder aus der Geschichte unseres Landes, wie das war. Vielerorts werden wir als „Mitläufer“ der Nazis aufgeführt, die Tatsache dass es Widerstand gegen den Okkupanten gab, ist sogar in den europäischen Staaten, die seit 1953 am Aufbau des vereinten Europas mit uns zusammenarbeiten, ungenügend bekannt. Insofern ist Ihre Frage eine sehr tiefgründige.
Die Not der Nachkriegszeit machte uns erfinderisch. Meine Eltern waren „Selbstversorger“, neben dem Gehalt meines Vaters, der als Arbeiter im Stahlwerk der Arbed (heute Arcelor-Mittal) arbeitete, halfen uns selbstgezüchtete Kaninchen Hühner und Schweine, sowie der Gemüsegarten, den meine Mutter hegte und pflegte, über die Runden.
Diese Erfahrungen haben mich natürlich geprägt. Armut nicht als Schande empfinden, aber Ziele anstreben, die durch Wissen und Erziehung zu Perspektiven werden, lassen ein Volk die Hoffnung nicht verlieren.
Zu Rumänien würde ich sagen, dass es Ende 1989 diese Hoffnung gab, dass der Glaube an Freiheit und Gerechtigkeit sehr stark in den Erwartungen der Rumänen präsent war. Dass sich mit den Wirren in den 90-er Jahren und erst recht nach dem Beitritt zur EU diese Hoffnung verflüchtigte, dies ist meines Erachtens das rumänische Drama. Wenn die Menschen den Glauben verloren haben, wird es sehr schwierig, sie vom Sinn und der Berechtigung politischer Entscheidungen zu überzeugen.
Welche Begegnungen mit rumänischen Politikern und Politikerinnen waren und sind ausschlaggebend für Sie? Haben Sie hier auch Seelenverwandte gefunden?
Es gibt sehr viele Begegnungen, die ich erwähnen müsste… Seelenverwandte waren auch dabei, und manche sind es noch immer! Wenn ich das in der Chronologie meiner politischen Begegnungen erforsche, dann ist der erste und bedeutendste, heute immer noch, Corneliu Coposu. Ich habe ihn in der Parteizentrale der Demokratischen Konvention besucht. Es war zur Vorbereitungszeit der ersten demokratischen Wahlen. Er erzählte mir von seiner Zeit im Gefängnis, der 17 Jahre dauernden Einzelhaft, während der er sich mit Beten und Selbstgesprächen den Gebrauch der Stimme erhielt. Von ihm ging ein Charisma aus, das eben zu vermitteln vermochte, welches der Auftrag der neuen politischen Generation sei. Er war nicht der Karrieremacher, und auch nicht von Rache getrieben gegen jene, die ihn so lange inhaftiert hatten, und immer noch frei agierten. Coposu wollte Versöhnung, er wusste, dass nur über diesen Weg die schreckliche Vergangenheit bewältigt werden könne. Dass er allzu früh starb und politisch nicht mehr durchsetzen konnte, was er in die Wege geleitet hatte, das ist und bleibt eine Tragödie für den weiteren Verlauf der rumänischen Politik.
Sehr geprägt hat mein Rumänien-Bild der rumänische Botschafter in Luxemburg, Tudorel Postolache. In zwei Legislaturperioden war er Botschafter, mit einer Zwischenzeit, die er in Kanada absolvierte. Postolache war ein eifriger Anhänger unseres Premierministers Pierre Werner. Er hat das Modell des politischen Konsenses, des Regierens anhand von Kompromissen mit den Gegnern, so wie Werner es in den 60-er und 80-er Jahren anwandte, gründlich studiert. Postolache hat wie kein anderer die Geschichte unseres Landes studiert. Unsere Mitgliedschaft im Benelux, die daraus entstandene internationale Präsenz seit 1932, war für ihn ein mögliches Modell, wie Rumänien sich nach 1989 organisieren könnte. Damals war der Beitritt zur EU noch nicht in Sicht. Aber Postolache hat immer wieder dafür geworben. Postolache war ein großartiger Verfechter der Interessen seines Landes. Er hat für mich die Verbindung zu Ion Iliescu hergestellt. Nun war Illiescu, so wie alle, die unter dem Diktator Rang und Namen hatten, bei den neuen Oppositionellen verpönt. Ich habe ihn viele Male getroffen, privat und offiziell, war immer sehr beeindruckt von seiner Art, die Gesprächspartner zu umwerben. Ich denke, dass es ohne Iliescu zum Bürgerkrieg hätte kommen können. Macht ist eine zwiespältige Aufgabe, die Beurteilung ist selten ganz objektiv, solange die Geschichtsschreiber, und Biographen nicht anhand von Fakten die Tatsachen beleuchtet haben. Ich bin überzeugt, dass die Rolle Iliescus dann anders beurteilt werden wird. Er hatte auf alle Fälle politisches Gespür.
Der schwerwiegendste Fehler im Rückblick auf diese Periode ist, dass die Aufarbeitung der Vorgänge unter der Securitate nicht in die Wege geleitet wurde oder allenfalls zu spät. Dass es nun kaum noch möglich ist, alle Vorgänge der jahrzehntelangen Bespitzelung aufzudecken, bewirkt, dass die Rumänen mit dem gegenseitigen Misstrauen, mit Verdächtigungen und Rachegefühlen fertig werden müssen.
Das Schwierigste ist wohl in der Politik wie auch in der Wirtschaft, und nicht zuletzt in den zwischenmenschlichen Beziehungen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.
Haben Sie auch Hoffnungsträger erlebt?
Der erste rumänische Außenminister nach der Wende, Petre Roman, den ich zum offiziellen Besuch in Luxemburg getroffen, und im Parlament empfangen hatte, war die schillernde Persönlichkeit, die mir zum Bewusstsein brachte, dass es viele außergewöhnliche Talente gibt. Roman sprach fließend sieben europäische Sprachen, da konnte kaum einer seiner Kollegen mithalten. In westlichen Parteien hätte Petre Roman ganz gewiss eine große politische Karriere gemacht. Er war klug, hatte Charisma und gekonnten Charme.
Ein absoluter Hoffnungsträger war Emile Constantinescu. Mit seiner Wahl zum Präsidenten kam die Erwartung dass nun die Stunde der echten Demokratie gekommen sei. Ich haben ihn als außerordentlich liebenswürdigen Menschen und tiefgründigen Denker erlebt.
Als Parlamentspräsidentin haben Sie Ihren Amtskollegen Oliviu Gherman kennen gelernt?
In bilateralen Kontakten hat das Parlament eine Delegation des Senats empfangen, deren Präsident O.Gherman war. Ein äußerst belesener und gebildeter Mann, dessen Spezialität Kammermusik für Streichquartette war. Beim feierlichen Abendempfang im Schloss Bourglinster gab es in der Kapelle Streichquartette von Johannes Brahms live, als Gastgeschenk, mit Luxemburger Musikern. Der Präsident hat diese Aufmerksamkeit sehr geschätzt.
Eine offizielle Luxemburger Delegation trat dann zum Gegenbesuch in Bukarest an und es war für uns eine eigenartige Erfahrung. Wir waren noch nie so umhegt und eskortiert worden, fuhren mit Blaulicht und von Polizei reichlich umgeben durch die Hauptstadt. Einquartiert waren wir in den früheren Gästehäusern im Park im Bukarester Diplomatenviertel.
Der Besuch führte uns auch nach Kronstadt/Brasov, wo wir die Törzburg, das instandgesetzte „Dracula Schloss“ besichtigten. Für mich stand diese Person in keinerlei Zusammenhang mit Rumänien, den touristischen Hintergrund haben wir an Ort und Stelle erfahren.
Rumänien wird das Symbol nicht mehr los…
Tatsächlich: Als später, unter der ersten tschechischen Präsidentschaft in der EU, 2008, ein Werk des zeitgenössischen tschechischen Künstlers Cerny an der Fassade des Sitzungssaales des Europäischen Rates für einen Skandal sorgte, da er die Länder mit ihren Symbolen dargestellt hatte, war das Symbol Rumäniens Dracula, für Luxemburg war es ein Goldklumpen „zum Verkauf“, für Deutschland Autobahnen in Hakenkreuzform mit fahrenden Autos. Bulgarien war dargestellt mit einem türkischen Abort, die Franzosen mit „Streik“ und die Briten waren überhaupt nicht dargestellt… Aber das nur nebenbei! Es gab zu dieser „Installation“, wie zeitgenössische Kunstwerke genannt werden, viele Proteste, Entschuldigungen seitens der Tschechen, Verzicht des Künstlers auf seine Gage, viel Gelächter und so manches Fünkchen Wahrheit in den Darstellungen.
Zurück zu den Seelenverwandten…
Da möchte ich zuerst Klaus Johannis nennen. Seit den frühesten Besuchen habe ich ihn immer wieder getroffen, zum ersten Mal ganz offiziell 2000 nach seiner Wahl zum Bürgermeister. Und dann fast bei jedem meiner Besuche in Rumänien. Ich habe den Weg genau verfolgen können, den er ging, politisch mit großem Verantwortungsbewusstsein, menschlich mit einer ruhigen bescheidenen Art, die ihn einfach herausstellte aus dem Mittelmass.
Als ich 2004, bei meinem letzten Besuch als Ministerin bei der feierlichen Eröffnung der Casa Luxemburg auf dem Kleinen Ring, die Fortschritte sah, die er an der Infrastruktur in Hermannstadt zustande gebracht hatte, da war mir klar, dass nun mit ihm zu rechnen sei, auch in der nationalen Politik. Das Wissen, dass jemand ein politisches Amt ausübt und dem Druck standzuhalten weiß, der von allen Seiten ausgeübt wird, generiert das, was ich als Seelenverwandtschaft beschreiben möchte. Ganz besonders hat mich das Amt des Bürgermeisters, das ich ja selbst während 7 Jahren ausgeübt habe, zu der Erkenntnis gebracht, dass Politiker, welche diesen Weg gegangen sind, allen andern gegenüber einen Vorteil haben. Sie wissen einzuschätzen, wie die Menschen, die ihnen anvertraut sind, denken und wie auf Veränderung hingedrängt werden muss. Ihr eigenes Wesen lässt sich daran ablesen, ob sie den Dienst an der Allgemeinheit als oberstes Gebot halten und sich nicht durch Günstlingswirtschaft einzäumen lassen.
Klaus Johannis hat es verstanden, Hermannstadt auf der internationalen Ebene auf die Landkarte zu bringen. Mit Charisma und Feingefühl hat er die Zeit der Kulturhauptstadt genutzt um das andere Bild Rumäniens zu vermitteln. Er muss ein ausgezeichneter Pädagoge sein….
Das behaupten zumindest seine ehemaligen Schüler. Bitte berichten Sie auch über andere Begegnungen in Hermannstadt und in Rumänien.
Meine Erinnerung an die Zeit vor den « politischen » Begegnungen ist eine andere. Ich denke, dass man sich auf vielerlei Arten erinnern kann. Es gibt auch eine Erinnerung mit dem Herzen. Wenn ich heute auf dem Grossen Ring in Hermannstadt stehe, die schönen Fassaden und die einzigartige Dachlandschaft betrachte, spüre ich noch immer dieselbe Emotion, wie beim ersten Mal, als es noch keine sauberen Pflastersteine gab und trotzdem der « genius loci » allgegenwärtig war. Es war, als ob die Architektur die Brücke zur Heimat geschlagen habe, andere Plätze im alten Teil Europas hatten nicht mehr die Aura, die sich aus dem drohenden Verfall und der noch intakten Ganzheit ergibt.
In die Zeit der Konzerte mit Pantea fällt auch die Begegnung mit Smaranda Enache von der Liga Pro Europa, das Entdecken der von unserem Verständnis demokratischer Praxis noch unberührten Art der Sorge um das Allgemeinwohl, wie auch das Wissen, dass Frauen Verantwortung mittragen müssten. Sie habe ich vor kurzem auf einer Tagung in Luxemburg getroffen, wo sie als Diplomatin eingeladen war.
Der Einsatz Ion Caramitrus, des Kulturministers aus den späten 90-er Jahren, hat denn auch eine Begeisterung vermittelt, die leider nicht dazu geführt hat, dass Hermannstadts Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Caramitru war eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Der Künstler, der aus Sendungsbewusstsein Politiker war, verstand es, zu begeistern. Er hat mich überrumpelt, als wir beim Empfang am Abend der UNESCO-Konferenz 1998 im Brukenthal-Museum in den Barocksaal kamen, und er mich aufforderte, am Klavier Platz zu nehmen. « Wenn Sie rezitieren, dann spiele ich », sagte ich. Und gesagt getan, ich habe den ersten Satz aus Schumanns Kinderszenen gespielt, er hat rezitiert, und dann wieder Schumann und Shakespeare, bis zur Träumerei. Schade, dass Caramitru der Politik verloren ging, er hätte noch so manches in die Wege geleitet.
Aber vielleicht ist es auch wieder gut, dass die Kunst ihn wiederhat! Ich haben ihn erst kürzlich in Athen getroffen, bei der Veranstaltung zum 25. Jubiläum der Kulturhauptstadt.
In Hermannstadt gab es dann Begegnungen mit dem kleinen Kreis jener, die unsere Sprache pflegten und den Grundstein legten zur Erstellung des luxemburgischen Wörterbuches. Im « Römischen Kaiser » kamen sie zusammen, um untereinander noch die Mundart zu pflegen. Ihrem Einsatz ist zu verdanken, dass jetzt dokumentiert wird, wie die Sprache sich im Laufe der Zeit angepasst hat, welche neuen Wörter hier wie dort entstanden sind. Es ist faszinierend festzustellen, wie anhand von Sprachforschungen das Leben der Menschen nach zu empfinden ist, in welchem Umfeld sie gelebt haben, ob neue Wörter aus der Not Dinge zu benennen die es noch nicht gegeben hat, ein Resultat des technischen Fortschritts ist, oder ob Wörter aus anderen Sprachen angepasst und « verluxemburgischt » wurden.
In der deutschen Sprache sollen Ausdrücke aus dem Englischen vermieden werden, dem Luxemburgischen, durchsetzt von französischen Wörtern oder auch englischen droht der Verlust von alten Formulierungen, der Verarmung der Kleinsprachen ist vorzubauen. Einige Räume in der Casa Luxemburg waren damals ja für die Planstelle des Wörterbuches vorgesehen. Nun sind sie an der Universität, beim Buchstaben P. Ein Wörterbuch ist eine langwierige Angelegenheit. In Luxemburg ist das Wörterbuch derzeit beim Buchstaben »n ». Spannend wird allemal die Gegenüberstellung beider Arbeiten werden.
Von der Atmosphäre her sind die Konzerte mit Danielle sehr eindrucksvoll gewesen. In Kirchen und Klöstern haben wir gespielt, auf einem Lipatti Klavier, das eigens hergerichtet worden war habe ich begleitet. Aber vermutlich war die Emotion die ich dabei empfand nicht so gross für die Zuhörer. Der Bildungsgrad der Menschen in den Dörfern hat mich damals sehr erstaunt. Erklärt haben es mir meine rumänischen Gesprächspartner damit, dass es sonst nichts gab! Also hat jeder gelernt, gelesen-soweit es auch Bücher gab- Musik gehört und gespielt.
Eben dieser hohe Bildungsgrad hat mich dazu veranlasst zu fragen, wieso der Diktator solche verrückten Dinge machen konnte, wie ganze Dörfer abreissen, oder zum Bau des Palastes in Bukarest solche Riesendimensionen vorzugeben, und die Menschen nicht früher revoltierten. Ich erinnere mich dass 1985 der Europarat Einspruch erhob gegen die Zerstörung der Dörfer, dass der damalige Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Louis Jung eigens nach Bukarest reiste, um vor Ort den Denkmalschutz zu verteidigen!
Meine an den damaligen Direktor des Konservatoriums in Bukarest, Leftarescu, gestellte Frage, wurde denn auch damit beantwortet, was für uns unvorstellbar war: die Abhörmethoden der Securitate. Niemand war sicher dass nicht Gespräche in den Häusern, in den Familien, abgehört wurden, und es dann zu Verhaftungen kam. Telefone waren mit Mikrophonen ausgestattet…..also auch wer nicht telefonierte war « on line ».
Es gab die zahlreichen persönlichen Kontakte, Besuche bei den einfachen Menschen in ihren Häusern, und es gab die offiziellen, oder künstlerischen. Ich habe dadurch ein Bild von Rumänien das nicht bloss aus offiziellen Anlässen zusammengesetzt ist, sondern durch dieses Eintauchen in das Leben der Menschen.
Dann gab es die Begegnung mit meiner Fragenstellerin. Wann wir uns zum ersten Mal getroffen haben, das kann ich nicht mehr so richtig sagen, mir ist als ob Sie schon immer dabei gewesen wären, mit durchdringendem Blick und präzisen Fragen. Ihre Skepsis, wie sie den Profis unter den Journalisten zu eigen ist, fordert zum Nachbessern gemachter Aussagen auf, da ist kein Bluff erlaubt. Ich glaube dass gewisse Sensoren manche Menschen einander zuführen, dass es eben gemeinsame Wellenlängen gibt, über die man sich versteht ohne viel zu reden.
Ebenso habe ich mit Ovidu Gant im EP zusammenarbeiten können. Auch da war der Kontakt spontan, ehrlich und einfach.
In der Politik fehlten Harmonie und Farben, es fehlen auch die Kunst, auf Details zu achten, die Beobachtungsgabe und das Gefühl und nicht zuletzt auch die Kunst, Problemlösungen mit dem Herzen anzugehen, sagen Sie in einem Gespräch im Mai 2007. Was würden Farbharmonie, Kunst oder Gefühl in der Politik bewirken? Welche Rolle kommt in diesem Kontext den Frauen zu?
Eigentlich ist ja Politik auch eine Kunst: die Kunst des „Machbaren“. Vom Ursprung her aus der griechischen Kultur fußen unsere demokratischen Systeme auf dem Begriff der „Polis“, der Stadt, für die die Besten auserwählt werden, um die Sorge für die Allgemeinheit zu tragen, die Stadt zu verwalten und Rechenschaft abzulegen vor den Bürgern, die sie gewählt haben. Dieses elitistische System hat sich in zwei Jahrtausenden im Wechselbad des Umgangs mit Herrschen und Dienen ziemlich stark verändert.
Kann derzeit noch behauptet werden, dass Politik Dienst ist? Ganz sicher hält auch die Behauptung, dass die „Besten“ gewählt werden, der kritischen Hinterfragung nicht stand! Was ist denn nun Politik wirklich geworden? Diese Frage ist nicht mit einer einzigen Antwort zu klären. Politik ist immer das, was ein Volk daraus gemacht hat. Ich sage ganz bewusst: ein Volk. Ich höre schon die Widersprüche, die da sagen, nun wollten Politiker sich die Hände in Unschuld waschen und sagen, die Verantwortung liege bei denen, die sie gewählt hätten…
Und liegen sie falsch?
Das Problem ist leider, dass das „Volk“ auch nicht mehr der altgriechischen Form von auserwählten Weisen, oder zur Wahl zugelassenen „Bürgern“ mit schon privilegierten Stellungen, entspricht.
Das führt uns zu grundsätzlichen Überlegungen zum Begriff „Demokratie“.
In allen Ländern ist das Wahlrecht erkämpft worden, mit mehr oder weniger harten Auseinandersetzungen, unter lebensgefährlichem Einsatz, nach langem Kampf, der sich der Herrschaft Einzelner oder der von Gruppen entgegensetzte.
Eine Abhandlung über das Frauenwahlrecht könnte dazu illustrieren, wie unterschiedlich über den Globus verteilt dieser Schritt getan wurde oder noch zu tun bleibt. In einem solchen Zusammenhang kann eine Wahl nur danach beurteilt werden, wie sie durchgeführt wird, mit der Ernsthaftigkeit oder der pauschalen Ablehnung, die demokratische Wahlen nicht mehr als schwer erkämpftes Gut, als echte Mitsprache in Dingen des Allgemeinwohls, erscheinen lassen, sondern vielfach als Parodie des alten Systems der Demokratie.
Es war äußerst betrüblich, als in den neuen Mitgliedstaaten der EU nach dem Fall der totalitaristischen Staatsformen, die Wahlbeteiligung so gering war, dass pauschal betrachtet nicht einmal die Hälfte der Einwohner zur Wahl gingen, und somit die vom „Volk gewählte“ Mehrheit von einem Viertel der Gesamtbevölkerung bestimmt wurde. Enttäuschung, Politikmüdigkeit, Unglaubwürdigkeit der Kandidaten, alles hat mitgespielt. Verlierer ist am Ende eine Staatsform die immer noch als beste Herrschaftsform angesehen wird. Churchill sagte: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. »
Das Sendungsbewusstsein und der Wille, die Welt zu verändern, lassen sich nicht mehr so recht erkennen. Utopisten oder große Umstürzler haben in den Demokratien der Europäischen Union kaum noch Chancen.
Was ist denn aus der Politik geworden?
Ein Beruf, kaum noch eine Berufung! Professionalisiert, mit Personal und Privilegien ausgestattet, hat ein Abgeordnetenmandat Anspruch auf Altersversorgung, Entgeltungen die es zu einer regelrechten Karriere aufgebessert haben. Und da scheiden sich die Geister: gingen früher Abgeordnete, die sich Politik „leisten“ konnten, vorrangig liberalen Berufen nach, es waren Juristen, Großgrundbesitzer, Arzte, kaum Angestellte, oder Arbeitervertreter höchstens wenn sie von starken Gewerkschaften unterstützt wurden, so wurde mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes der Zugang zu Politik und Regierungsämtern auch anderen Schichten der Bevölkerung ermöglicht. Damit stellten sich die Fragen der Vereinbarkeit von einem politischen Mandat und z.B. einer Beamtenkarriere.
Und dann bekamen Abgeordnete ein Statut, und wurden vollberufliche Politiker. Das heißt natürlich nicht, dass die finanzielle Absicherung nicht rechtens wäre und außerdem ist es ja immer nur ein Mandat auf Zeit. Wer nicht wiedergewählt wird muss entweder zurück in seinen früheren Beruf, oder hat andere Sicherheiten, oder eben auch nicht. Das Risiko, eine gut gehende Arztpraxis aufzugeben, um sich während einer Legislaturperiode dem Allgemeinwohl zu widmen, und dann vielleicht nicht mehr wiedergewählt zu werden, ist wohl nicht zumutbar, es sei denn, Politik ist Berufung. Das macht es schwer, objektiv und unvoreingenommen zu beurteilen, wie politischer Einsatz zu bewerten ist.
Hinzu kommt, dass Politik eigentlich ein Kommunikationsberuf geworden ist. Wer gute Pressearbeit zu leisten weiß, ist demjenigen voraus, der Akten studiert und sich in den Mäandern der Gesetzgebungen einbringt, aber nicht klar zu formulieren weiß, wo es lang geht.
Da Kommunikation heute kaum noch ins Detail gehen kann, ist der komplizierte Vorgang von gesetzlichen Veränderungen manchmal schwer zu vermitteln. Schlagzeilen werden gebraucht, und nicht Erklärungen! Das erschwert natürlich ungemein die fachliche Kommunikation und gibt dem Kommentar den Vorrang.
Was bleibt dann noch übrig an Farben und Harmonie?
Farben gibt es ja bereits: rot, grün, blau, die Schwarzen sollen rechts stehen, die Roten links, die Grünen überall und die Blauen dort, wo es gilt, Geschäfte zu machen… Harmoniebedürftige Menschen sollten sich nicht in die Politik verirren, sie könnten Schaden erleiden. Ich denke, dass eben dieses Bestreben, an großen Umwälzungen mitbeteiligt zu sein, mitzuwirken an einer Verbesserung der Lebensumstände der Menschen, sich verliert im alltäglichen Kleinkrieg der Auseinandersetzungen zwischen Parteien. Das eigentliche Ziel wird dabei aus den Augen verloren. Es gäbe vielleicht mehr Harmonie, im Sinne eines Hinarbeitens auf die Lösung der großen Probleme, wenn dieses Wissen, dass es letztlich um mehr geht, als nur um die Frage, wer gewinnt, den Idealisten in der Politik wieder mehr Raum verschafft würde.
Aber das ist alles sehr nuanciert zu betrachten. Politik ist immer das, was die Menschen daraus machen, die Wähler und die Gewählten.
Und die Frauen?
Warum glaubt man eigentlich, dass sie es anders machen würden? Das Klischee der Sanftmütigkeit, die Mutterfigur, die Frauen auch inhärent ist, lässt sich nicht auf Frau und Politik so ohne weiteres übertragen. Wer glaubt, dass Frauen mit Langmut und Geduld die politischen Tagesgeschäfte besser abwickeln könnten, liegt falsch. Ich habe einmal gesagt, dass ein Bürgersteig weder männlich noch weiblich ist, und wenn er repariert werden muss, die Frau es genauso angehen muss wie der Mann, rein technisch gesehen.
Ob sie darin eine Priorität sieht oder anderen Dingen den Vorrang gibt, das ist ihre Entscheidung. Frau hat eventuell andere Vorstellungen von Dringlichkeiten. Insbesondere in der Kommunalpolitik ist die Erfahrung von Müttern sehr wertvoll. Was wiederum nicht sagen will, dass nicht auch Männer die Prioritäten einer kindgerechten Stadt richtig einschätzen können.
Das wiederum bringt mich zum Klischee zurück.
Weshalb ist der Weg der Frauen in ein politisches Amt langwieriger und schwieriger?
Auch da gibt es sehr große kulturelle Unterschiede zwischen dem „alten“ Europa und den neuen Mitgliedsstaaten. Unter dem Kommunismus waren Frauen gleichberechtigt, wurden eingesetzt in der Partei, zu vielen Aufgaben, selten hat aber eine Frau es zum Vorsitz der Partei geschafft, die gerühmte Gleichstellung war auch Sache der Apparatschiks. Frauen, die es ganz nach oben schafften, galten des Öfteren und gerade in den Augen anderer Frauen als suspekt.
Ebenso in den anderen Mitgliedstaaten, dort dauerte es sehr lange, bis Frauen die wichtigsten Ämter bekleideten. Die Skandinavier waren absolute Vorreiter. Mit ihrem System der Versorgung der Kinder in Gemeinschaftsschulen, und Gesetzen, die den Zugang zu allen Posten für Frauen festschrieben, waren sie Frankreich, Deutschland, auch Luxemburg weit voraus.
Als ich 1974 zum ersten Mal auf der Liste Pierre Werners bei den Parlamentswahlen kandidierte, war ich unter 21 Kandidaten die einzige Frau. Die Alibi-Frau gewissermaßen. Es gab den Parteienstreit zwischen links und rechts, die konservativen Parteien setzten auf die Mutterrolle, ließen nur ungern gelten, dass sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten, so wie auch die katholische Kirche die Rolle der Frau immer noch im „Heimchen am Herd“ sah.
Bezogen auf die Gleichstellung von Mann und Frau gibt es in Rumänien u. a. das Vorurteil, dass Frauen in der Politik nichts verloren hätten. Was spricht für die Rolle der Frau in der Politik? Wie haben Sie dies in Ihrem politischen Werdegang erlebt?
Der Weg, den Frauen gehen sollten, muss auf dem selbstständigen Bewusstsein aufbauen, dass sie ein Mitspracherecht in der Politik und auch etwas zu sagen haben. Auf die Erfahrung von Frauen kann kein Land mehr verzichten. Fehlt es heute an Fachkräften, muss auch immer hinterfragt werden, weshalb Mädchen stereotyp orientiert werden, in Berufe, in denen sich Kinderbetreuung besonders gut vereinbaren lässt mit den Arbeitszeiten. Das hat die Gesellschaft um viele gutausgebildete Schulabgängerinnen gebracht, die aus einem gesellschaftspolitischen Defizit ihren Beitrag zum Allgemeinwohl nicht leisten durften, da Kindererziehung immer noch als die alleinige Aufgabe der Frau und Mutter angesehen wird. Dies hat zur Folge, dass z.B. der Lehrerberuf mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird, was sich dann wiederum negativ auswirkt, besonders auf die Erziehung von Jungen!
Wie geht die Politik mit diesem Ungleichgewicht um?
Eigentlich müsste man jedes einzelne Land einer Analyse unterziehen, um daraufhin zu beurteilen, inwieweit unterschiedliche kulturelle Auffassungen in der Frauenpolitik mitgespielt haben. Es muss auf jeden Fall der EU zugute geschrieben werden, dass das Prinzip gleiche Rechte, gleicher Zugang zur Sozialversicherung und gleicher Lohn als Direktive, d. h. als europäische Gesetzgebung schon in den 80-er Jahren durchgesetzt wurde. Weit weg sind wir noch überall von gleichem Lohn für gleiche Arbeit, noch immer verdienen Frauen weniger als Männer, auch wenn es sich um gleichwertige Positionen handelt. Um diese Prinzipien durchzusetzen, braucht es durchaus die Präsenz von Frauen in der aktiven Politik. Aber nicht nur um die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, braucht die Politik Frauen. Sie sind andere Wege gegangen, Frauen haben andere Erfahrungshorizonte.
Im EP ist der Anteil von Frauen höher als im Durchschnitt der anderen Parlamente, die skandinavischen Länder ausgenommen.
Mein persönlicher Werdegang ist dadurch gekennzeichnet, dass ich von unten auf „gedient“ habe… d.h. von der Frauensektion meiner Partei auf lokaler Ebene bis zur nationalen Vorsitzenden der Frauen, dann das gemeindepolitische Mandat, zuerst in der Opposition, dann später als Bürgermeisterin. In der Partei war ich zuletzt Vorsitzende der Partei, als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker. Diese Basisarbeit gab mir Gelegenheit, an der Ausarbeitung der Parteiprogramme aktiv mitzuarbeiten, und Schwerpunkte einzubringen, die sich mit meinen Vorstellungen deckten.
Als wir zuletzt eine Statutenreform durchsetzten, habe ich Quoten eingeführt, so dass künftig auf allen Listen, ob kommunal oder national ein Drittel Frauen als Kandidatinnen vorgeschlagen werden müssen. Ob sie gewählt werden, das hängt natürlich vom Wähler ab, da unser Wahlsystem keine Präferenzpositionen, die durch die Parteigremien vergeben werden, vorsieht. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Die Rolle der Frau in der Politik ist in Rumänien negativ besetzt. Die Diktatorengattin wird als abschreckendes Beispiel angeführt, sobald eine Frau sich auf das politische Parkett wagt…
Das ist auch ein negatives Beispiel. In den USA haben die Präsidentengattinnen eine sehr wichtige Rolle, aber nicht in den politischen Fachbereichen. Die Geschichte wird noch aufzeichnen müssen, wie in Rumänien der Diktator Familienmitglieder einsetzte. Ob Frau, Bruder oder Sohn, Nepotismus war schon im Altertum verpönt, dass rumänische Frauen sich durch dieses Klischee abhalten ließen, aktiv in der Politik mitzugestalten war nicht die richtige Reaktion.
Als Politiker sitzt man im Glashaus! Nur der Wähler sollte urteilen, ob jemand seine Arbeit gut macht, unabhängig von seiner Familienzugehörigkeit. Es gibt Beispiele jeder Art: die Frau des US-Präsidenten Clinton hat einen tapferen Wahlkampf geschlagen um das Präsidentenamt, sie ist nicht Präsidentin geworden, aber Außenministerin. Ob das Urteil über ihre Politik noch über die Präsidentengattin oder die Amtsinhaberin gefällt wird, das hängt vom Bildungsstand der Wähler ab.
Hängt dieser Bildungsstand nicht auch von der Presse und von den Politikern ab?
Das ist eine gute aber verfängliche Frage… Statistiken über die Anerkennung der verschiedenen Berufe in der Öffentlichkeit, setzen Journalisten wie Politiker auf eine gleich niedrige Stufe: von beiden hält Otto Normalverbraucher gleich wenig! Und das ist sehr verfänglich. Die Politik braucht die Presse um zu kommunizieren, die Presse informiert über Regierung, Parlamente und Bürgermeisterämter.
Aber sie kommentiert ebenso gerne. Sie setzt dem Bürger schon den eigenen Standpunkt als fertiges Denkschema vor. Er hat natürlich die Wahl des Presseorgans, vielleicht trifft er sie sogar auf Grund des Kommentars, oder des Kommentators! Es gibt wohl kaum noch Bürger, die am aktiven politischen Leben teilnehmen, indem sie etwa öffentliche Parlaments- oder Gemeinderatssitzungen besuchen. Besuchergruppen auf den Tribünen der nationalen Parlamente und auch des EP werden oft enttäuscht: sie blicken auf leere Bänke, die Reihen füllen sich erst wieder, wenn abgestimmt werden soll. Die Abgeordneten sind derweil in Ausschusssitzungen oder in Arbeitsgruppen beschäftigt…
Demokratie hinter verschlossenen Türen?
Zum Glück bringt sich da die Presse ein, die mit Akribie die Abläufe verfolgt und dann darüber berichtet und natürlich auch kommentiert. Über diese Zusammenhänge wäre noch viel zu bemerken, ebenso wie über die Präsenz von tausendfünfhundert eingeschriebenen Lobbyisten im Europäischen Parlament.
One Response to Luxemburg und Rumänien. Leseproben einer Seelenverwandtschaft
Beatrice Ungar 2 décembre 2013
Gut gebrüllt, Löwin, auch zur Maut, aber vor allem zum Thema: Wie bringt man Bürger dazu, auf das Auto zu verzichten? Hier wollen wir ja noch Autobahnen bauen, die Bahn geht flöten… Danke für den Impuls,
eine schöne Adventszeit
alles Liebe
Beatrice