Zwei pensionierte Bassgeiger treffen sich. Sagt der eine: „Gestern war ich in der Oper. Erinnerst du dich an die Partie aus Verdis Aida, wo wir den Bogen immer von links nach rechts und zurück über den Saiten gleiten ließen? Dies Wumm, Wumm?“ „Natürlich“, sagt der andere. „Weißt du aber, wie das aus dem Saal klingt?“ sagt der erste und beginnt, den Siegesmarsch anzustimmen…
Musik
Von 30 Jahren politischer Tätigkeit haben Sie mindestens 15 auch der Knüpfung von und der Vertiefung der Beziehungen zwischen Luxemburg und Rumänien im Allgemeinen und Hermannstadt im Besonderen gewidmet. Sie sprechen hier von einer Seelenverwandtschaft. Um zu erfahren, was dieser Seelenverwandtschaft zugrunde liegt, falls es überhaupt möglich sein sollte, diesen Begriff zu quantifizieren, müssen wir erst einmal einen Rückblick versuchen auf die Anfänge Ihrer Verbindungen zu Rumänien. Wann haben Sie erstmal Kontakt aufgenommen zu dem Land?
Es war wohl kein Zufall, dass ich im Juli 1980 gebeten wurde, Ionel Pantea in Schuberts Winterreise am Klavier zu begleiten. Damals war ich als Professorin am Konservatorium der Stadt Luxemburg tätig, ein Teil meiner Aufgaben war es, Schüler zu begleiten bei Examen und Schülerkonzerten. Pantea war nicht zum ersten Mal in der Stadt, aber diesmal war der oder die Pianist(in) abhanden gekommen, ich sollte sozusagen als „Lückenbüßer“ einspringen.
An das Konzert erinnere ich mich noch sehr genau: es war im Saal des damaligen „Foyer Européen“, dem Festsaal der europäischen Beamten, mitten in der Stadt. In diesem Saal hat Franz Liszt sein letztes öffentliches Konzert gegeben, 1886, als er zu Besuch bei dem ungarischen Maler Mihaly Munkacsy in Colpach, einem kleinen Ort im Westen des Landes, weilte.
Etwa hundert Zuhörer, Pantea in Hochform, seine großartige Stimme und einfühlsame Art, die atmosphärischen Veränderungen in den Lieder so plastisch darzustellen, stellen hohe Anforderungen an den Pianisten. Der Klavierpart ist wie der Pinsel, manchmal mit starkem Strich und dann wieder sehr fein, nur andeutend.
Mit dem Sänger hat mich seither eine lebenslange Freundschaft verbunden. Er lebte damals in Cluj, war dort an der Oper in leitender Funktion tätig. Er ist und bleibt für mich eine wunderbare Verbindung zu Rumänien.
Was wussten Sie bis zu diesem Zeitpunkt von Rumänien?
Das was man so wusste, es gab damals den Freundeskreis Luxemburg-Siebenbürgen, dessen Vorsitzender ein Musiklehrer, Guy Schonckert, war. Dass es diese Auswanderung im 13. Jahrhundert gegeben hat, und dass man dort noch eine Art Luxemburgisch spricht, das wusste ich. Ceausescu war damals ein angesehener Mann, er wurde offiziell empfangen, hat sogar eine luxemburgische Auszeichnung bekommen, als er auf Staatsbesuch war. Als „Derjenige, der den Kommunisten die Stirn bietet“ wurde es politisch motiviert….. aber das war in den Endsechziger Jahren…
Rumänien war uns aus dem Geographie unterricht bekannt als die „Kornkammer Europas“ aber auch dank der von Ana Aslan angebotenen Frischzelletherapie, die von den Luxemburgern eifrig genutzt wurde.
Welche musikalischen Persönlichkeiten haben Ihr Rumänien-Bild geprägt?
Ionel Pantea steht da an erster Stelle. Aus meiner Studienzeit kannte ich George Enescu, den man zwar eher als den rumänischen Franzosen wahrnahm, von der Kunstrichtung eher diesem Einfluss zuzuordnen. In Brüssel gab es die berühmte Lola Bobescu, als Virtuosin gefeiert, später in zahlreichen Plattenaufnahmen mit ihrem Kammerorchester, die ich in der von mir moderierten Sendung auf Radio Luxemburg RTL programmierte. Und es gab natürlich die Pianisten, Dinu Lipatti, Radu Lupu Valenthin Gheorghiu und viele andere namhafte Künstler.
Bei meinen vielen Besuchen in Rumänien habe ich immer wieder festgestellt, dass Musik zum Alltag der Menschen gehört, dass es nicht eines besonderen Ereignisses oder eines gewissen Programms bedarf, damit die Menschen ins Konzert gehen, es gehört einfach dazu, und auch wenn man nicht dort war, wird darüber gesprochen.
Können Sie ein so genanntes Schlüsselerlebnis schildern? Es dürfen natürlich auch mehrere sein.
Zusammen mit Ionel Pantea habe ich sehr schöne Konzerte erlebt. Bei einem meiner ersten Besuche, 1992, spielten wir im Saal des Konservatoriums in Tirgu Mures, ich habe noch sehr klare Bilder in meinem Kopf von diesem Jugendstil-Gebäude, ein Nachmittagskonzert vor einer kleinen Zuhörerschaft, anschließend gab es ein Gespräch über Musik und Politik, die Zeit war ja sehr bewegt und die Menschen sehr besorgt. Bei dieser Gelegenheit habe ich auch den Direktor und Dirigenten Csiky Boldizsar und seine Familie kennengelernt, und zum ersten Mal habe ich selbstgemachten Holundersekt getrunken. Es gibt zahlreiche persönliche Begegnungen, die mir wie Tragödien vorkamen, aber sehr bald merkte ich, dass die innere Kraft der Menschen groß war, so dass das Leben einfach weiterging.
Höhepunkte waren, als Pantea und ich im Athenee Palace in Bukarest zu einem Liederabend auftraten. Es war 1993, er war bereits mit seiner Familie nach Luxemburg übergesiedelt. In früheren Begegnungen merkte ich, dass es Spannungen gab zwischen jenen, die geblieben waren, und den „Ausgewanderten“.
Wir hatten auf dem Programm Schuberts „Der Wanderer“, mit dem letzten Satz des Liedes der heißt: „Dort wo Du nicht bist ist das Glück“. Mir klang dieser Satz wie das Vermächtnis eines Schicksals. Bleiben oder gehen, das war eine brennende Frage für viele rumänischen Künstler vor 1989.
Dann gab es eine Konzertreihe mit meiner Tochter Danielle Hennicot, Bratschistin. Wir spielten in Mircula ciuc, es war im Frühjahr, das Konzert sollte am Nachmittag stattfinden in dem Festsaal, das Klavier war ein Lipatti, und eigens zum Konzert wiederhergerichtet. Große Frage ob die Schulkinder auch kommen dürften. Die Organisatoren befürchteten Unaufmerksamkeit. Schließlich wurden die größeren Klassen dann zugelassen, und sie waren außergewöhnlich aufmerksam. Ein Forsythienstrauss, von einem Jungen auf die Bühne gebracht, war für Danielle der schönste Blumenstrauß, den sie je erhalten hat. Wir waren einquartiert im Kloster XXXX und da es noch recht kühl war, hat man in unserem Zimmer Feuer in einem großen weißen Kachelofen angezündet. Diese Atmosphäre von Begeisterung und Gastfreundlichkeit hat mich bei all meinen Besuchen in Rumänien sehr bewegt.
Unvergesslich bleibt das Konzert mit Ionel Pantea im Rahmen des Enescu-Festivals 2001. Wir waren am 11. September im Athéné Palace zur Probe, unser Konzert mit Liedern von George Enescu fand in dessen Sommerhaus in Sinaia statt. Dort durfte ich auf dem Klavier des Komponisten spielen, eine sehr mit Emotionen durchsetzte Aufführung. Als ich am 11. September morgens von der Probe zurück ins Hotel kam, sass mein Mann vor dem Fernseher und hatte „live“ die schrecklichen Angriffe auf das World Trade Center in New York erlebt. Den ganzen Tag über saßen die Menschen in dem Fernsehzimmer des Hotels, telefonierten, es war eine sehr bedrückte Stimmung. Beim Konzert am Abend im großen Palace in Bukarest spielten die Londoner Philharmoniker unter Kurt Masur, der kurze Zeit davor Dirigent der New Yorker gewesen war. In wenigen Worten widmete er das Konzert den Opfern des Attentats. Es war äußerst bewegend, wie dieser große Dirigent mit der Musik ausdrückte, was damals noch unter dem Schock der Aktualität keiner so recht bemerkte, dass sich seither die Welt verändert hat.
Welche Rolle spielte für Ihre Liebe zum Land die Musik?
Ich muss gestehen, dass besonders in den ersten Jahren nach der Diktatur Rumänien ja als „Armenhaus Europas“ angesehen wurde. Die Vorurteile waren so klischeehaft, dass Armut gleichgesetzt wurde mit fehlender Bildung. Durch die Musik und die Konzerte wurde ich eines Besseren belehrt. Musik war so präsent, dass unsere Konzerte mir manchmal vorkamen wie „Eulen nach Athen tragen“. Es gab damals so viele begabte und tüchtige Künstler, aber auch ein Publikum, gebildet aus echten Liebhabern und Kennern, das sehr kritisch war. Beeindrucken konnte man selten. Weshalb, das habe ich viel später verstanden.
Um im Bereich der Musik zu bleiben: Eines der Vorurteile gegenüber Rumänen lautet, es gebe hierzulande nur gute Solisten, und deshalb käme kein ausgezeichnetes Orchester zusammen. Haben Sie dies auch so empfunden?
Das ist ein schönes Bild, das ausgezeichnet darstellt, wie die Kakophonie, die es im öffentlichen Leben manchmal gibt, zu Stande kommt. Der Hang zum Individualismus ist in der Tat sehr ausgeprägt. Ich würde sagen, jeder Rumäne ist eine eigene Welt für sich. Dass es dennoch gute Orchester und vorzügliche Opern gibt, ist der Beweis, dass es auch geht, gemeinsam Grosses zu leisten. Im Theater sind die Rumänen allerdings einsame Spitze in ganz Europa! Mir scheint, dass sie für das Theater geboren wurden. Die Art, das Leben mit Spiel, Tanz und Gebärden zu meistern, passt zu vielen Deutungen des Wesens und der Eigenarten, auch der Unarten, der Lust zu täuschen, oder der flatterhaften Untreue der Rumänen. Im Theater finden sie den Raum dafür, das Individuelle geltend zu machen. Das Leben zur Bühne zu gestalten passt glaube ich besser zu ihnen als die sittsame Strenge eines Symphonieorchesters.
Allerdings: Man kann überhaupt nicht von „Rumänien“ oder den „Rumänen“ reden und ein Etikett darauf kleben. Herkunft und Hintergrund gemischt mit einer Zeit der Bespitzelung, des gegenseitigen Verdächtigens haben die Menschen geprägt. Die Kunst, trotzdem zu überleben, hat viele Biographien geschrieben, in denen auch Feigheit, Verrat, Unehrlichkeit vorkommen. Alles Pauschale, was über Rumänien und die Rumänen gesagt und geschrieben wird, ist immer irgendwo hohl und falsch.
One Response to Luxemburg und Rumänien. Leseproben einer Seelenverwandtschaft
Beatrice Ungar 2 décembre 2013
Gut gebrüllt, Löwin, auch zur Maut, aber vor allem zum Thema: Wie bringt man Bürger dazu, auf das Auto zu verzichten? Hier wollen wir ja noch Autobahnen bauen, die Bahn geht flöten… Danke für den Impuls,
eine schöne Adventszeit
alles Liebe
Beatrice