Die disziplinierte Unbequeme
Die frühere Ministerin hat sich als Umweltpolitikerin etabliertErna Hennicot-Schoepges: Ich bin an Ergebnissen interessiert.
Erna Hennicot-Schoepges vertritt das Großherzotum seit 2004 im Europaparlament. Ganz freiwillig wechselte die ehemalige Ministerin nicht auf die europäische Bühne. Inzwischen hat sich die CSV-Politikerin aber etabliert und erntet für ihre Arbeit sogar Lob von der politischen Konkurrenz.
Ganz freiwillig trat Erna Hennicot-Schoepges im Sommer 2004 den Gang ins Europaparlament nicht an. Als Kulturministerin hatte sie die Szene kräftig aufgemischt. Das Kulturjahr 2007 stand vor der Tür. „Ich hätte noch gerne einige Baustellen zu Ende geführt.“ Doch die Parteiräson hat ihre eigene Logik. Während neue CSV-Minister ins Kabinett einzogen, sollte Hennicot-Schoepges für die Christlich-Sozialen nach Brüssel und Straßburg wechseln.
„Ich war nicht begeistert“, räumt die Politikerin unumwunden ein. Aber nach fast dreißig Jahren aktiver Politik war sie Profi genug, um sich der neuen Situation zu stellen. „Ich bin an Ergebnissen interessiert“, resümiert Erna Hennicot-Schoepges ihr Politikverständnis. Wobei die konkreten Resultate einer Abgeordneten-Tätigkeit natürlich nicht so sichtbar sind wie die Taten einer Ministerin. „Das sind zwei Paar Schuhe. Ich bin aber im Detail gar nicht unzufrieden.“ Als Neuling im Europaparlament widmete sie sich Themenbereichen, für die sie als Ministerin Verantwortung trug. Einige Dossiers, die sie im EU-Ministerrat begleitete, konnte Hennicot-Schoepges nun aus der Warte einer EU-Abgeordneten weiter verfolgen und beeinflußen.
Gleich zu Beginn der Mandatsperiode stand die umstrittene Chemikalienrichtlinie Reach auf der Tagesordnung. Rund 100 000 chemische Substanzen sollten in der Europäischen Union einheitlich regsitriert und genehmigt werden. Als Mitglied des Umweltausschusses befand sich die CSV-Politikerin an der Front der Auseinandersetzung wieder.
Die Ausdauer und Zähigkeit der Lobbyisten sollte die Abgeordnete schnell zu spüren bekommen. „Schlimm und fragwürdig“ findet Hennicot-Schoepges den Einfluß der verschiedenen Interessengruppen, die keinen Versuch auslassen, um Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Doch Hennicot-Schoepges schreckt nicht davor zurück, die versammelten Lobbyisten aus dem Tagungssaal werfen zu lassen, wenn sie mit ihren Kollegen unbeobachtet beraten will. Dabei hält sie die Interessenvertretung grundsätzlich für legitim. Die Detailversessenheit der europäischen Regelungsvorlagen erleichtern den Abgeordneten ihr Handwerk nicht. „Die Flut an technischer Regelung macht eine demokratische Entscheidungsfindung fast unmöglich“, bedauert Hennicot-Schoepges.
Im Fall der Reach-Richtlinie soll der Beitrag des Europäischen Parlaments trotz aller Schönheitsfehler nicht kleingeredet werden. Alleine 5 000 Änderungsanträge wurden in erster Lesung eingereicht. Das Ergebnis war – wie sollte es in Europa anders sein – ein Kompromiss. „Kein Land hätte allein eine solche integrale Gesetzgebung auf den Weg gebracht. Das konnte nur in einem Verbund zwischen Vertretern der Mitgliedsstaaten, der Industrie und der Umweltschützer gelingen. 40 andere Gesetzgebungen wurden durch den Reach-Text ersetzt “, so Hennicot-Schoepges im Nachhinein. Sie stimmte für die Richtlinie, Kollege Claude Turmes von den Grünen dagegen. Trotzdem zollte er Hennicot-Schoepges Respekt für ihre Zivilcourage: „Ich möchte Erna Hennicot-Schoepges meine Achtung aussprechen. Sie hat sich bei den Beratungen über die Reach-Richtlinie keine Freunde in den eigenen Reihen gemacht. In der EVP-Fraktion zählt sie zu den Dissidenten in Sachen Umweltschutz“, gab Turmes in einem Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“ zu Protokoll. Ein doch eher seltenes Lob für die politische Konkurrenz.
Erna Hennicot-Schoepges eine schwarze Grüne? Soweit würde sie selbst wohl nicht gehen. Aber in ihrem Kampf gegen gesundheitsschädliche Pestizide und als Mitglied der Sonderkommission zum Klimawandel kommt doch eine Facette der Politikerin zu Tage, die man bisher weniger wahrgenommen hat. Für Hennicot-Schoepges ist diese „grüne Ader“ natürlich kein neues Wesensmerkmal. Allerdings habe sie nun in der Praxis mehr Gelegenheit, ihrer „Verantwortung für die Schöpfung“ konkrete Taten folgen zu lassen. Dass sie in der konservativen EVP-Fraktion manchmal im Abseits steht, macht ihr nichts aus. Der Fraktionszwang ist in einem Parlament ohne Mehrheit-Oppositions-Logik ohnehin weniger ausgeprägt. Der eigenen politischen Familie bescheinigt die Christlich-Soziale, dass „eine erkennbare Linie“ droht verloren zu gehen. Die Christdemokraten in der EVP lassen sich zu sehr von Konservativen und Liberalen in die Enge treiben.
Eine abweichende Meinung erlaubte sich die CSV-Abgeordnete auch bei der Abstimmung über die sogenannte Rückführungsrichtlinie. Die vorgeschlagene europäische Einwanderungspolitik empfand Hennicot-Schoepges als zu restriktiv. „Eine Inhaftierung von sechs Monaten ist deutlich zu lang. Das Prinzip der Freiheitsberaubung wird überbetont“, erklärte sie ihr negatives Votum. Die Abgeordnete zeigte sich beunruhigt, dass „ innerhalb der Union xenophobisch anghauchte Kräfte wieder an Stärke gewinnen.“
Einer Gefahr, der sie sich auch als Berichterstatterin zum „Europäischen Jahr des Interkulturellen Dialogs“ annehmen will. „Wir müssen unsere Unterschiede zur Kenntnis nehmen und uns mit diesen Spannungen auseinander setzen.“ Die Europa-Müdigkeit der Bürger kann Hennicot-Schoepges nachvollziehen. Sie hält es mit Kommissionpräsident José Barroso „wir müssen Europa eine Seele geben.“ Aber sie macht sich keine Illusionen und weiß, dass es oft bei Lippenbekenntnissen bleibt. Das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag sieht Hennicot -Schoepges nüchtern. „Vielleicht hatten wir diese Schlappe verdient.“ Die Politikerin überrascht immer wieder durch ihre Offenheit, die so gar nicht ihrem Image einer strengen und disziplinierten Klavierlehrerin entsprechen will. Aus der reinen Innenpolitik hat sich die frühere CSV-Nationalpräsidentin zurückgezogen. Was aber nicht heißen soll, dass sie sich nicht mehr zu Wort meldet. In ihrer Kolumne in der französischen Wochenzeitung „Le Jeudi“ und auf ihrem Internet-Blog kommentiert Hennicot-Schoepges regelmäßig die Luxemburger Aktualität und ihren Alltag im Europaparlament. „Wenn ich das Wort ergreifen dürfte“ nennt sich ihr zuweilen bissiger Internet-Blog. Sie dürfen Madame, Sie dürfen.
Steckbrief: Erna Hennicot-Schoepges
Im Europaparlament seit: 2004.
Geboren am: 24. Juli 1941 in Düdelingen.
Politische Mandate: Gemeinderat in Walferdingen (1976-1987), Bürgermeisterin (1988-1995), Abgeordnete auf Krautmarkt (1979-1995), Präsidentin der Abgeordnetenkammer (1989-1995), Bildungsministerin (1995-1999), Ministerin für Hochschulen, Forschung, Kultur und Ministerin für öffentliche Infrastrukturen (1999-2004).
Andere Aufgaben: Nationalpräsidentin der Christlich-Sozialen Volkspartei (1995-2003), Vorsitzende der Christlich-Sozialen Frauen (1979-1988).
Wohnt in: Walferdingen.
Familienstand: verheiratet, drei erwachsene Kinder.
Beruf: Klavierlehrerin.
Themen: Kultur, Forschung, Umwelt und Klimaschutz. Berichterstatterin zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008).