Jahrestage zur Erinnerung geraten schnell in Vergessenheit. Kaum jemand kann sich heute noch das geteilte Berlin vorstellen, die Mauer, mit Stacheldrähten abgesichert, die Grenzpolizei, die Warteschlangen und Grenzkontrollen, die Schüsse auf Menschen auf der Flucht. Sie haben damals abgestimmt mit den Füssen, gegen die Diktatur, gegen die Überwachung durch die Staatssicherheit, gegen Zensur und Gesinnungsterror. Ohne mutige Menschen die zum Montagsgebet angetreten sind, ohne die Initiative Kurt Masurs, der zum gewaltlosen Widerstand aufforderte, wären vielleicht sowjetische Panzer gekommen. Die Geschichtsschreibung dieser Zeit ist so aktuell wie nie: Überwachung durch Geheimdienste ist wieder ein Thema, auch in Europa! Es sind nicht mehr Panzer die rollen, sondern Raketen die fliegen, Bürgerkriege, aus Fundementalismen erwachsen, spalten die Gesellschaft in Syrien, in Mozambique, in Mali und dem nahen Osten. Das Ideal von Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit ist dort noch kein politisches Programm. Der 9. Mai 1950 war der Aufbruch zu einem Europa ohne Krieg, der 9. November hat Deutschland « wiedervereint ». Das politische Erbe des Helmut Kohl und François Mitterand hat an diesem Tag zu einem Neuaufbruch aufgefordert. Erst seit diesem Tag sind Friedensverhandlungen zwischen den Siegermächten und dem Kriegstreiber Realität geworden. Da mutet die Überwachung durch eine der Siegermächte, die Vereinigten Staaten von Amerika, wie ein Trugschluss an. Waren die Europäer so naiv, dass sie sorglos das Feld überliessen, das geschriebene Wort der europäischen Menschenrechtscharta der Missachtung preisgaben? Das geeinte Deutschland, die Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts, hat sich kompromittiert, aus Geschäftsgründen, erst das Wirtschaftsabkommen mit den USA unter Dach und Fach, und dann der Ausuferung der geheimdienstlichen Tätigkeiten zu Leibe rücken. Was wäre aus dem 9. November geworden, wenn damals die anderen Mitgliedsstaaten der EU davor gewarnt hätten eine neue Übermacht in Deutschland entstehen zu lassen? Die Achtung vor den Menschen an den Grenzpfählen war grösser, damals, als die Bundesrepublik die Unterstützung aller anderen Partner brauchte. Der 9. November ist auch der Tag des Kampfes wider die Vergesslichkeit.